An welchen Gott glauben Sie?
Ich hatte meinen Glauben verloren, als ich vor dreißig Jahren in Brasilien im Gefängnis war. Ich wurde gefoltert: Ich war allein, eingesperrt in einem komplett finsteren Raum, es war eiskalt, sie nannten es den "Kühlschrank". Ich war nackt. Ich dachte an den heiligen Johannes vom Kreuz und "Die dunkle Nacht". Darin beschreibt er, wie der Mensch durch die Dunkelheit hindurch zu Gott findet. Ich wiederholte diese Verse immer und immer wieder, doch es gelang mir nicht, mich Gott zu nähern. Für die folgenden sieben Jahre kehrte ich mich ab von Gott: Es war mir egal, ob er existiert oder nicht. Das änderte sich jedoch völlig, als ich 1986 den Jakobsweg ging. Heute fühle ich mich nicht mehr von Gott enttäuscht. Ich sage nicht mehr: Gott ist dies. Oder: Gott ist das. Versuche ich, Gott zu beschreiben, bin ich verloren.
Welche Liebe macht Sie glücklich?
Die Griechen haben drei Wörter für Liebe: Eros, Philos und Agape. Eros bezeichnet die Liebe zwischen Mann und Frau; Philos ist das griechische Wort für Freund und Agape ist die allumfassende Liebe. Ich versuche, diese drei Manifestationen der Liebe in meinem Herzen lebendig zu erhalten. Existenziell für mich ist die Liebe meiner Frau. Ohne Christina wäre ich nicht dieser erfolgreiche Schriftsteller. Wir sind seit 27 Jahren verheiratet, damals war ich noch kein berühmter Autor. Natürlich haben wir unsere Kämpfe, unsere Auseinandersetzungen. Aber sie hat nie versucht, mich zu ändern. Ich schon: Ich habe mich immer wieder beschwert, dass sie so unpünktlich sei - sie hat sich nicht groß darum geschert. Ohne Christina wäre ich nichts, die Liebe zu ihr ist jenseits von allem.
Was können Erwachsene von Kindern lernen?
Unschuld , Arglosigkeit, den unverstellten Blick auf die Welt. Ich schreibe für das Kind in uns, und die meiste Zeit über bin ich dieses Kind. In langweiliger Gesellschaft zum Beispiel, da kann ich ziemlich provokativ sein. Ich stelle seltsame Fragen, alle fühlen sich unbehaglich - und das Kind lacht. Ich weiß, wie man Menschen provoziert. Kinder sind nun mal frech.
Hat das Leben einen Sinn?
Ja, doch ich kenne ihn nicht. Wir können noch so viele Fragen stellen über das Wesen des Lebens - die letzte Antwort werden wir nie finden. Es ist besser zu respektieren, dass das Leben ein Wunder ist. Erst im Moment meines Todes werde ich den Sinn des Lebens verstehen. Man braucht natürlich ethische Grundsätze, man sollte sich zu einer Aufgabe bekennen und versuchen, sein Bestes zu geben. Bei einem Besuch des KZ Dachau habe ich gespürt, dass wir alle verantwortlich sind für die Grausamkeiten auf dieser Erde. Mit der Paulo-Coelho-Stiftung helfe ich Kindern in Brasilien. Aber wenn du die ganze Welt retten willst, bist du verloren. Rette erst einmal dich selbst.
Muss man den Tod fürchten?
Es wäre dumm, sich zu fürchten! Verschwende nicht deine Zeit! Sieh den Tod als deinen Freund, der neben dir sitzt und dir sagt: "Junge, früher oder später werde ich dich küssen." Seitdem ich realisiert habe, dass ich sterben werde, versuche ich, jeden einzelnen Moment meines Lebens zu respektieren und dieses Leben voll auszuschöpfen. Vor vier Jahren hatte ich eine Nahrungsmittelvergiftung: Das Fieber stieg und stieg, und ich war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Ich war völlig ruhig und gelassen und dachte: "Okay, ich sterbe, aber ich habe die Frau geheiratet, die ich liebe. Ich war als Schriftsteller sehr erfolgreich. Ich habe all das getan, was ich tun wollte, ich war dazu verrückt genug. Es gibt nichts, das ich bereue." Ich habe früher Freunde verletzt und verprellt, doch vor einigen Jahren habe ich mich bei allen entschuldigt. Heute ist es gut.
Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?
Ich will drei Monate in einem Kloster verbringen oder auf einer Insel, völlig isoliert von der Welt. Zurzeit schaffe ich das nicht, ich bin dafür nicht vorbereitet - ich brauche das Internet, ich brauche Menschen. Ich hoffe, es wird mir irgendwann gelingen.
Sind Sie Ihren Träumen treu?
Ja, denn du kannst alles haben - Liebe, Geld, alles! Doch wenn du nicht deinen Träumen folgst, ist das Leben irrelevant.