In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Bei der Recherche für meinen letzten Roman habe ich mich fast den ganzen Mont Ventoux hochgequält. 1600 Höhenmeter, ein absoluter Angstgegner. Währenddessen habe ich mich ziemlich tot gefühlt, aber danach extrem lebendig. Natürlich fühle ich mich auch beim Schreiben lebendig. Dabei könnte ich gar nicht mal sagen, dass das Schreiben "Spaß" macht. Man hockt Stunde um Stunde da, hat Nackenverspannungen, ohne einen erstklassigen Masseur überlebt man diesen Beruf gar nicht. Aber an guten Tagen stellt sich das Rauschgefühl ein, das der Boxer aus dem Ring kennt: Jeder gelungene Satz ist wie ein klarer Treffer, jedes abgeschlossene Kapitel eine gewonnene Runde. Mit voller Wucht schießen die Lebenskräfte in einen hinein, wenn man sein Werk tatsächlich beendet hat - und weiß, dass es gut ist. Jede große Herausforderung birgt die Angst vorm Scheitern, deshalb gibt es keinen lebendigeren Moment, als ganz am Schluss sagen zu können: "Ja! Ich hab's geschafft! "
Was können Erwachsene von Kindern lernen?
Warum sollten wir von Kindern lernen? Weil sie näher an der Natur dran sind? Ich bin heilfroh, dass wir eine Zivilisation haben. Deshalb: Die Frage ist falsch herum gestellt. Kinder können jede Menge von Erwachsenen lernen. Zum Beispiel, dass man nicht allein ist auf der Welt, dass es noch andere Menschen gibt, die ihre Privatsphäre brauchen.
An welchen Gott glauben Sie?
So, wie sich auf dem Erdball die Dinge gestalten, halte ich es für extrem unwahrscheinlich, dass es einen Gott gibt. Wenn überhaupt, leuchtet mir am ehesten noch das griechische Göttersystem ein: eine Vielzahl zerstrittener Götter, von denen letztlich auch keiner weiß, was richtig ist. Zeus sagt Hü und Hera sagt Hott und Athene macht eh, was sie will. Das erklärt die Konflikte, mit denen wir zu tun haben, doch am besten! Im tragischen Weltverständnis der alten Griechen finden wir uns ständig in Entscheidungssituationen wieder, in denen es die Lösung nicht gibt. Egal, was wir tun: Es bleibt ein unversöhnter Rest, mit dem wir irgendwie umgehen müssen. Die Hoffnung, dass man all seine widersprüchlichen Wünsche und Begierden versöhnen kann, indem man das macht, was Gott in der Bibel sagt - das halte ich für eine Vereinfachung des Lebens.
Hat das Leben einen Sinn?
Ich bin eine überzeugte Perfektionistin und als solche will ich meine Anlagen und Talente bis zum Maximum fordern. Persönlich halte ich dies für einen sehr attraktiven Weg, um Leben als sinnvoll zu erfahren. Wenn ich einen glücklichen Hedonisten sehe, der mit sich und der Welt im Reinen ist, gratuliere ich ihm auch gern und sage: "Mach weiter so." Unruhig werde ich, wenn ich Menschen treffe, die weder glücklich sind noch versuchen, ihr Leben zu gestalten. Da denke ich schon: "Himmel, lasst euch nicht so hängen! Macht was aus euch! "
Welche Liebe macht Sie glücklich?
Wenn mich jemand liebt, den ich auch liebe. Ich bin seit sieben Jahren fest liiert. Mein Liebster redet ungefähr ein Fünftel so schnell wie ich. Und er ist glücklich, wenn er 20 Leute um sich herum hat - ich bin dagegen glücklich, wenn ich allein in meiner Schreibhöhle sitze. Diese beiden Lebensmodelle bekommt man nur unter einen Hut, wenn jeder begreift: Lass dem anderen seine Macke! Und wenn man das Glück hat, zwei Wohnungen im selben Haus zu haben...
Was ist Ihr größter Alptraum?
Jenseits von persönlichem Siechtum ist mein größter Alptraum, dass wir miterleben werden, wie in der westlichen Welt der nächste große Schlamassel ausbricht. Ich fürchte, dass unsere Generation wenig krisentauglich ist. Bis 2001 hatten wir ja die Idee, dass das alles hübsch so weitergehen wird wie in den 90er Jahren. Im Augenblick habe ich eher das Gefühl: Es rast ein Schnellzug auf uns zu, und keiner weiß, wie man ihn aufhalten soll. Zum einen fürchte ich, dass es islamistische Terroranschläge in einem nicht gekannten Ausmaß geben wird. Zum anderen, dass sich religiöser Dogmatismus wieder in unser Leben schleichen wird. Die zentrale Herausforderung unserer Zeit lautet für mich: Wie können wir einen säkularen, urbanen, offenen Lebensstil verteidigen, ohne dabei selbst dogmatisch zu werden.