Ich hab mich total auf unseren Lukas gefreut. Aber ich stand enorm unter Druck. Ich wollte die Supermutter werden, wollte alles richtig machen. Das kam auch ein bisschen von außen: Lukas war das erste Kind, der erste Neffe, der erste Enkel, das erste Urenkelkind - und jeder hatte Ratschläge. Jeder meinte es gut, aber ich empfand es als Druck. Man hat eben nicht immer gute Tage in der Schwangerschaft. Dann wurde ich auch noch arbeitslos, das hat mich zusätzlich gestresst. Aber ich dachte: Wenn mein Kind erst mal da ist, wird sich schon alles auf Mutterschaft einstellen.
Lukas war geboren, und ich fühlte mich nur leer
Dann war Lukas geboren, und ich fühlte mich nur leer. Ich hatte mir das so schön vorgestellt, dass ich ihn voll stille, ohne Zufüttern, aber das ging nicht. Lukas schrie vor Hunger. Da dachte ich: Du bist eine schlechte Mutter, du kannst dein Kind nicht selber ernähren. Wenn Lukas schlief, saß ich auf der Couch und schaute durch den Fernseher durch.
Ich hätte ganze Tage lang heulen können und wusste nicht warum. Warum kannst du dich nicht freuen, dass du ein gesundes Kind hast? Ich war in dieser Zeit so überfürsorglich, ich habe seine ganze Wäsche gebügelt, nur die teuersten Windeln und die beste Babynahrung gekauft. Wenn ich ihm schon keine Liebe geben konnte, wollte ich wenigstens, dass drum herum alles stimmt.
Wenn Lukas wach war, schrie er oft. Das machte mich rasend.
Mensch, was willst du, du bist frisch gewickelt und gefüttert! Dann kamen diese Fantasien. Wie ich mein Kind in der Badewanne unter Wasser tauche, wie ich es aus dem Fenster werfe. Auch an Selbstmord habe ich gedacht. Natürlich habe ich nichts davon gemacht, aber ich bin wahnsinnig erschrocken. Ich hatte Angst, ihm was zu tun, und war heilfroh, dass meine Mutter und mein Mann den Lukas so gut betreut haben. Aber wenn er meine Mutter so anstrahlte, tat das richtig weh. Sie war seine erste Bezugsperson, mein Mann die zweite, dann erst kam ich.
Schließlich bin ich mit Lukas für sechs Wochen ins Psychiatrische Zentrum Nordbaden nach Wiesloch gegangen. Dort waren viele Mütter, denen es so ging wie mir und die mich verstanden haben - allein das half mir schon. Und es gab eine Ärztin, die sagte: Sie sind keine schlechte Mutter, Sie haben schließlich Ihr Kind in gute Obhut gegeben und suchen sich professionelle Hilfe. So hatte ich das noch gar nicht gesehen.
Am Anfang halfen mir vor allem die Medikamente gegen Depression aus dem Loch heraus. Und dann ging manchmal mein inneres Türchen zu Lukas einen Spalt weit auf. Ganz selten, ganz kurz. Das konnte nachts um drei sein. Da stand ich an seinem Bett und sah ihm beim Schlafen zu. So klein lag er da. Da hab ich ihn gebraucht. Von diesen Momenten hab ich tagelang gezehrt, weil ich wusste: Es ist doch was da! Diesen Kontakt zwischen Lukas und mir haben die Ärzte in Wiesloch gefördert.
Wenn ich jetzt auf seine Füße pruste, dann lacht er.
Am meisten half mir die Videotherapie. Ich wurde zum Beispiel gefilmt, wie ich Lukas wickle. Ich hatte mir eingebildet, Lukas mag mich nicht, aber auf dem Video sah ich, wie er immer meinen Blick sucht und mich anlacht - das tat so gut! Und wenn er strampelte, hatte ich immer gedacht, er tritt nach mir. Bis ich auf dem Video sah: Der strampelt ja die ganze Zeit. Das ist er! Er will, dass ich mit seinen Füßen spiele. Wenn ich jetzt auf seine Füße pruste, dann lacht er.
Auch seine verschiedenen Arten zu schreien habe ich unterscheiden gelernt - früher habe ich das einfach nur als Ablehnung verstanden, jetzt weiß ich: Manchmal ist ihm langweilig. Oder er ist müde. Oder grantig. Oder hungrig.
Endlich können mein Mann und ich die Familie leben, die wir uns von Anfang an gewünscht haben. Klar nervt Lukas auch jetzt noch manchmal. Wenn er einfach nicht einschlafen will zum Beispiel. Aber ich habe jetzt wieder die Kraft, damit umzugehen. Der Lukas ist halt ein Kind mit Ecken und Kanten. Wie die Mama auch.
Protokoll: Andreas Unger