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Der Grünen-Politiker Tom Koenigs war von Februar 2006 bis Weihnachten 2007 im Dienst der Vereinten Nationen als Sondergesandter und Leiter der UN-Mission in Afghanistan. In dieser Zeit hält er Woche für Woche seine Erlebnisse und Erfahrungen für sich und seine Freunde fest.
Er erzählt von den komplizierten diplomatischen Beziehungen in Kabul – fast jeder ausländische Minister, Diplomat und Würdenträger sucht auch den Repräsentanten der Vereinten Nationen auf –, von seinem Besuch beim König und den Reisen nach New York zu Kofi Annan. Immer wieder beschreibt er das absurde Protokoll, den Prunk und den Plunder – seltsame Konstanten trotz der offensichtlichen Zunahme von Gewalt, Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten.
Jeder getötete Taliban mobilisiert drei neue
Koenigs schildert aber nicht nur die Mühen des diplomatischen Alltags, sondern analysiert auch die Entwicklungen in Afghanistan. Er versucht sich selbst klar darüber zu werden, was um ihn herum in diesem Land vor sich geht. So stellt er bald fest: Jeder getötete Taliban mobilisiert drei neue. Den Hauptfehler des Westens sieht Koenigs darin, nicht wahrgenommen zu haben, dass die Taliban eine politische Aufstandsbewegung sind, denen mit rein militärischen Mitteln nicht beizukommen ist. Entsprechend sieht er bei vielen Beobachtern im Westen eine eklatante Fehleinschätzung der Taliban.
Auch werden die westlichen Alliierten ebenso als Besatzer angesehen wie einstmals die rote Armee der Sowjetunion. Die Besatzung sei nicht nur die zahlenmäßig gewaltige Präsenz, sondern zugleich ein Eingriff in die Gesellschaftssysteme und die Wirtschaft, schreibt Koenigs. Ein solches „Maß an Fremdbestimmung hält kein Land aus“.
Distanzierte Ironie
Die Notizen des UN-Sondergesandten waren ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt und das macht einen großen Teil ihres Charmes aus. Sie sind unverändert und ungeschminkt wiedergegeben. Koenigs schlägt einen leichten Ton an, eine „distanzierte Ironie“, wie Herausgeber Joscha Schmierer in der Einleitung schreibt.
Ein ehrliches, selbstkritisches Buch, das mit leichter Hand das Dilemma des Afghanistan-Krieges beschreibt – jedem Afghanistan-Interessierten unbedingt zu empfehlen. Koenigs Aufzeichnungen schließen mit der Erkenntnis: „Es ist erstaunlich, dass kaum jemand, der in Afghanistan war, sich dem Charme der Leute und dem Land entziehen kann“.
Tom Koenigs: Machen wir Frieden oder haben wir Krieg? Auf UN-Mission in Afghanistan, Wagenbach Verlag, Berlin 2011, 264 Seiten, 19,90 Euro