Lisa-Marie will ganz schön viel vom Leben
Tim Wegner
21.05.2021

Lisa-Marie nennen alle nur Lisa. Weil zwei Vornamen, das passt gar nicht zu dieser Kleinstadtfamilie an der Schlei, wo man nichts hält von Extraluxus. Zum Abendessen gibt es Graubrot mit Eivierteln, zum Nachtisch Kompott, und Lisas Lieblingsfach in der Schule ist Heimatkunde. Aber da muss es doch ein Leben geben jenseits der Heimat, jenseits der idyllischen Kleinstadt, wo Mädchen für gewöhnlich nach der Mittleren Reife eine Lehre machen. Zur Schneiderin oder zur Reisebüroverkäuferin. Herrlich ist es, das Schwimmen im kalten Wasser der Nordsee, aber je weiter Lisa hinausschwimmt, desto klarer wird ihr: Sie muss hier raus. Etwas Größeres suchen, mehr vom Leben.

Rainer Moritz' Roman wird Frauen gefallen, die in den 60er und 70er Jahren geboren sind. Die Sonnenbrillen mit Tropfengläsern getragen und zu "Seasons in the Sun" geknutscht haben. Die hin- und hergerissen waren zwischen Bleiben und Weggehen, zwischen der vorgesehenen Rolle – heiraten, Lehre, Kinder kriegen – und dem Aufbruch in die Unabhängigkeit. Lisa geht: in die Großstadt, in einen Verlag, wo sie sich in einen verheirateten Mann verliebt (er heißt im Roman durchgehend "der Verheiratete"). Eine Affäre ohne ein Versprechen auf mehr. "Wenn er bei ihr war, war er bei ihr, als Kurzzeitbesucher gewiss, doch als ein konzentrierter, der sie begehrte." 

Rainer Moritz: Als wär das Leben so. Oktopus-Verlag, 208 Seiten, 20 Euro

Das Kleinstadtleben, das Lisa zurückließ, taucht immer wieder auf. Wenn Lisa ihre Schwester Anika besucht, die fünf Kinder bekommen hat und zu Weihnachten missratene Zimtsterne backt. Ein Hausfrauenleben mit langweiligem Ehemann. Also hat Lisa das bessere Los gezogen. Oder? Je nachdem, wie man ihn liest, diesen kleinen lakonischen Sommerroman. 

Rainer Moritz: Als wär das Leben so. Oktopus-Verlag, 208 Seiten, 20 Euro 

 

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