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Ich stehe wieder mal auf unserem kleinen Markt an der großen Kirche. Beim Metzger hole ich Fleisch und Wurst für meinen Mann und für Gäste. In der Auslage liegt ein Schinken, den ich nicht kenne. „Ist der neu?“ frage ich die nette Verkäuferin. „Ja“, sagt sie. „Den machen wir erst seit Kurzem. Ganz mager, außen herum mit schwarzem Pfeffer und Zitrone. Möchten Sie versuchen?“ Ich nehme das angebotene Stück und koste. Sehr gut, wenn man so etwas mag.
Neben mir steht eine alte Dame. Sie ruft zornig: „Ich will auch probieren!“ Selbstverständlich bekommt sie ebenfalls ein Stück vom frischen Schinken. Sie verzieht das Gesicht. „Na ja. Bah. Schmeckt nicht. Brauch‘ ich nicht.“ Und geht.
Wir schauen uns verdutzt an, die Verkäuferin und ich. Für mich ist das Ganze zunächst einfach nur schlechtes Benehmen. Macht man nicht. Vor allem nicht in diesem unverschämten, fordernden Tonfall! Ein bisschen peinlich wirkt es obendrein. In dem Alter noch futterneidisch ….
Am Rand das Brot
Als Kinder haben mein Cousin und ich immer geschaut, wer vom Brot das Ranftl bekam, wie es in Bayern heißt. Das Randstück. Oder das Scherzl - knusprig, klein, köstlich. Knackig beim Reinbeißen. Am nächsten Tag war dann der dran, der zuvor hatte verzichten müssen. An sich eine gute Übung: Einmal du, einmal ich. Nicht immer alles für jeden. Warten können. Sich in Vorfreude üben. Morgen, Kinder, wird‘s was geben - und zwar mitten im Jahr. Duftiges Brot mit dem ersten oder dem letzten Stück.
Meine Gedanken machen Halt bei dem Wort „Verzicht“. Die alte Dame war zwar rüstig und gut genährt. Bedürftig sah sie wirklich nicht aus. Aber was sie wohl für Zeiten in ihrem Leben hatte? Krieg und Hunger hat sie bestimmt erlebt. Vielleicht eine karge Nachkriegszeit. Möglicherweise musste sie auf Vieles verzichten. Ob in ihrer Kindheit und Jugend Wachsamkeit angezeigt war, um zu bekommen, was man brauchte, damit einem niemand etwas wegschnappte? Große Sparsamkeit, wie ich sie kenne?
Es ist nicht meine Aufgabe, die Dame ungefragt zu analysieren und aus der Ferne zu therapieren. Das steht mir nicht zu. Vielleicht war sie wirklich einfach nur neidisch. Aber manchmal wird das Leben miteinander leichter, wenn man, statt andere abzuurteilen, sich nur mal vorstellt, wie viele Gründe es für ihr Verhalten geben könnte. Das nimmt einem die schlechte Laune. Eventuell kann ich demnächst, wenn ich sie wiedersehe, ein Pläuschchen mit ihr anfangen. Am Käsestand. Wenn ich was probiere. Oder sie.
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