Webseite von Nowaja Gaseta
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novayagazeta.ru
103 Millionen Dollar für eine Medaille
26.06.2022

Die Nobelmedaille von Dmitry Muratov wurde für 103,5 Millionen Dollar verkauft und das Geld für ukrainische Flüchtlingskinder (UNICEF) gespendet. Dmitrij Muratow ist Chefredakteur der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ (Neue Zeitung), die seit einigen  Wochen aus dem Exil berichten muss. In Russland heißt das Blatt einfach „Nowaja“ – Die Neue.

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2022 schrieb der Chefredakteur, der 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war: „Ich bin Zeuge davon wie ein ganzes Volk – unser Volk – im 21. Jahrhundert einem geglücktem Experiment unterzogen wurde: Der Bestrahlung mit Propaganda. In Abwesenheit unabhängiger Medien beginnt die Propaganda immer einen Krieg vorzubereiten. Propaganda ist der Koch des Krieges. Propaganda ist der Krieg selbst.“

Der eigentliche Höhepunkt dieser Propaganda sei „die Gewöhnung daran, dass Atomwaffen an sich so schlecht nicht seien. Man könne manchmal über ihren Einsatz  nachdenken…Diese Propaganda hat Russland und die Ukraine in einen jahrzehntelangen Zustand der Feindseligkeit versetzt.“

Dieser mutige Chefredakteur wollte der Putinschen Kriegspropaganda nicht länger tatenlos zusehen und fragte sich: Was kann ich dagegen tun?

Er hatte eine geniale Idee: Am 21. Juni 2022, am Tag des Sommeranfangs, ließ er in einer Auktion in New York seine Friedensnobelpreis-Medaille versteigern und erhielt dafür die unglaubliche Summe von über 103 Millionen US-Dollar, genau 103.500.000 Dollar. Ein Rekordpreis für eine Friedensnobelpreis-Medaille. Doch der Russe Muratow ist jetzt kein Geld-Millionär. Am selben Tag ließ er die hohe Summe an UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, überweisen, um Flüchtlingskinder aus der Ukraine zu unterstützen.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass der Auktionator den Bieter dieser Summe bat, den Mundschutz abzunehmen und die Summe zu wiederholen, so als habe er die hohe Zahl nicht richtig verstanden. Doch sie stimmte. Eine gute Meldung mitten in schlechten Zeiten.

Ende 2021 hatte das Nobelpreiskomitee den russischen Chefredakteur mit der Friedensnobelpreis-Medaille ausgezeichnet, die jetzt tausenden Flüchtlingskindern helfen wird, weil sie plötzlich über 103 Millionen Dollar wert ist. Den Materialwert der Medaille schätzen Fachleute auf 10.000 Dollar. Auf der Rückseite steht das Motto des Stifters Alfred Nobel „Pro pace et fraternitate gentium –für Frieden und Brüderlichkeit der Menschen“. Damals war der Putin-Überfall auf die gesamte Ukraine noch ein ferner Albtraum.

Doch seit dem 24. Februar 2022 leben wir in einer Zeitenwende, die Krieg in Europa wieder möglich machte. Michail Gorbatschow hat mit seinem Preisgeld für den Friedensnobelpreis 1990 die regimekritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ mit gegründet. Er ist bis heute Aktionär. Gorbatschow und Muratow sind befreundet. Die beiden russischen Friedensnobelpreisträger haben noch vor wenigen Wochen im Krankenhaus im kleinen Kreis Gorbatschows 91. Geburtstag gefeiert.

Die „Nowaja Gaseta“ steht nicht erst seit dem Ukraine-Krieg unter Druck des Kreml. Als ich 2018 in Moskau Michail Gorbatschow einen Preis überreichen durfte, das „Goldene Herz“, war auch Dmitrij Muratow anwesend. Schon damals waren fünf seiner Redakteurinnen und Redakteure ermordet worden. Die prominenteste unter ihnen war Anna Politkowskaja, die über den Krieg in Tschetschenien berichtet hatte. Mehrere Kollegen waren zudem auf offener Straße verprügelt, misshandelt oder verletzt worden. Michail Gorbatschow erhielt diesen Preis für unser gemeinsames Buch „Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft“.

Dmitrij Muratow und seine mutigen Kollegen berichten bis heute aus dem Exil die Wahrheit über Putins Verbrechen in  der Ukraine – ein Vorbild für alle Journalisten und Journalistinnen – einschließlich der Rekordversteigerung. Mein Kollege und Freund Muratow: „Keine freie Presse – keine Zukunft.“

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Kolumne

Franz Alt

„Lust auf Zukunft“ hat uns unser Kolumnist Franz Alt in über 300 Folgen seiner Kolumne Alternativ vermittel. Ob Energie, Politik, Gesellschaft, Familie oder Umwelt - überall ist der Wandel möglich und durch den Wandel eine bessere Welt für uns alle. Die letzte Folge erschien im November 2023