chrismon: Frau Thiele-Eich, Sie oder Suzanna Randall könnten die erste deutsche Frau im Weltall werden. Wann geht es los?
Insa Thiele-Eich: Geplant war der Flug ursprünglich für 2020, aber momentan ist der Platz für Mitte 2023 reserviert. Das ist in der Raumfahrt ganz normal, Termine werden immer als ein "nicht früher als" verstanden. Die große Frage ist immer die Finanzierung, egal ob staatliche oder kommerzielle Raumfahrt. Ein Flug zur Raumstation kostet circa 40 Millionen Euro.
Wie soll das Geld zusammenkommen?
Anfang 2020 haben ministerienübergreifende Gespräche stattgefunden, um die Mission gemeinsam zu finanzieren. Aber dann gab es in der Pandemie natürlich erst einmal andere Prioritäten. Jetzt sind wir gespannt auf die Zusammenarbeit mit der neuen Bundesregierung, die sich schon an mehreren Stellen zum Ziel gesetzt hat, in der Gesellschaft für mehr Begeisterung für die Raumfahrt zu sorgen – wir sind auf jeden Fall startklar.
Insa Thiele-Eich
Stephanie von Selchow
Warum war noch keine deutsche Frau im Weltraum?
Von rund 500 Astronauten weltweit waren 64 Frauen, aber eben keine Deutsche. In den 1980er Jahren haben zwei deutsche Frauen für die D-2-Mission trainiert, wie auch mein Vater Gerhard Thiele. Ausgewählt wurden dann aber weder Renate Brümmer noch Heike Walpot, und auch mein Vater bekam erst 2000 seine Chance. Warum, weiß ich nicht. Suzanna Randall und ich trainieren bei der Initiative "Die Astronautin", gegründet von der Raumfahrtingenieurin Claudia Kessler: Ihr Ziel ist es, die erste deutsche Frau auf eine Wissenschaftsmission zur Raumstation ISS zu schicken.
Warum haben Sie jetzt – zusammen mit Suzanna Randall – ein Erstlesebuch für Kinder ab 7 geschrieben?
Der Oetinger-Verlag ist auf uns zugekommen. Wir sollten unsere Geschichte erzählen und so auch für etwas mehr Vielfalt auf dem doch sehr männerdominierten Raumfahrttisch in Buchhandlungen sorgen. Kinder für die Raumfahrt zu begeistern, gehört in der gesamten Raumfahrtwelt dazu. Erst recht bei unserer Initiative. Sie soll ja gerade Frauen in der Raumfahrt sichtbarer machen.
"Wir sind keine Wonderwomen"
Was war Ihnen beim Schreiben besonders wichtig?
Wir wollten auf keinen Fall als Superheldinnen rüberkommen, also die Wonderwomen, die problemlos ins All entschwinden. Wir wollten klarmachen, dass wir lange nicht wussten, ob wir es überhaupt schaffen. Und dass wir auch Fehler gemacht haben, dass wir im Auswahlverfahren manchmal unsicher waren. 400 Frauen haben sich beworben, die alle sehr begabt sind. Ich freue mich jetzt noch, dass ich 2017 ausgewählt wurde. Aber wir zeigen auch, wie wir schon als Kinder auf die Wissenschaft und besonders auf das Weltall neugierig geworden sind. Dafür muss man – wie Suzanna beschreibt – auch nicht zwingend wahnsinnig gut in Mathe und Physik sein.
Warum erwähnen Sie in Ihrer Geschichte nicht, dass Ihr Vater auch Astronaut war?
Das ist nicht bewusst passiert. Er kommt bestimmt in einem der geplanten nächsten Bände auch mal vor. Ich hatte durch ihn ja das Privileg, in der sehr familiären Raumfahrtcommunity groß zu werden. Mein Vater trainierte ab 1996 in Houston, Texas, für seine Mission mit dem Spaceshuttle. Dort waren Männer und Frauen, Väter und Mütter in meinem direkten Umfeld Astronauten und Astronautinnen. Es war einfach normal. Die Frage, ob man das als Mädchen kann, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen.
Bis Sie nach Deutschland kamen.
Ja, hier hat bis jetzt kein Mädchen diese Erfahrung gemacht. Deshalb möchte ich ja so gerne etwas von der Selbstverständlichkeit, mit der ich groß geworden bin, an Mädchen und junge Frauen hierzulande weitergeben.
"Immer wieder wurde infrage gestellt, ob ich das kann"
Was für Vorurteile haben Sie erlebt?
In meinem ersten Interview wurde ich gefragt, ob ich nicht Angst hätte, wenn da nur Männer auf der Raumstation wären. Ich dachte erst, die Frage zielt auf die Angst vor dem Start. Aber es ging tatsächlich um sexuelle Übergriffe. Vollkommen abstrus! Es wurde auch immer wieder infrage gestellt, ob ich das überhaupt kann: Astronautin sein. Und ob ich es als Mutter überhaupt wollen sollte. Dass in Deutschland im 21. Jahrhundert immer noch so gedacht wird, hat mich anfangs schockiert. Meistens kann ich drüber lachen. Aber manchmal erwischt es mich auch kalt. Dann ärgere ich mich.
Sie sind im Hauptberuf Meteorologin und Klimaforscherin an der Universität Bonn und auch Mutter von vier Kindern. Hatten Sie für diese Kombination ein Vorbild?
Leider nicht. Ich hatte schon ein Kind, als ich noch Doktorandin war, und sollte mir eine Mentorin in meinem Fachbereich suchen. Ich suchte nach einer Professorin mit Kind. Aber die gab es nicht. Es gab einfach keine, auch nicht an anderen deutschen Universitäten. Das hat sich bis jetzt kaum geändert, sehr schade!
Sie arbeiten zu 70 Prozent an der Universität und zu 50 Prozent für die Initiative "Die Astronautin". Ihre Töchter sind elf und acht Jahre, eine ist drei Monate alt, Ihr Sohn drei Jahre. Wie sieht ein typischer Tag bei Ihnen aus?
Jeder Tag ist anders, das geht bei dem Pensum auch gar nicht anders. Mal überwiegt das Training, mal steht ein Projekt bei der Universität im Fokus. Zu Hause übernimmt mein Mann genauso viel Verantwortung für die Kinder und den Haushalt wie ich, sonst wäre es unmöglich. Es hilft aber auch, dass mir die Astronautinnen-Ausbildung riesigen Spaß macht.
Was zum Beispiel?
Tauchtraining. Für andere ist das ein Hobby. Aber gut, es ist ein bisschen anders, wenn man den Tauchschein bis zu einem bestimmten Termin haben muss, da muss man kreativ werden. Da kommen mein Mann und die Kinder am Nachmittag halt mit. Meine Töchter sind schwimmen gegangen, ich tauchen. Zwischendrin habe ich das Baby gestillt, und weil es oft spät wurde, sind die Kinder dann im Schlafanzug zurückgefahren. Flexibilität war von allen gefragt, aber das geht.
Aber Ihr Mann arbeitet doch auch Vollzeit?
Zu dem Zeitpunkt war mein Sohn erst vier Monate alt, und mein Mann war in Elternzeit. Sehr anstrengend war eine frühere Phase, in der mein Mann tagsüber in der Woche in Frankfurt bei seinem Arbeitgeber war. Aber das hat sich geändert, und er konnte auch vor Corona schon viel Homeoffice machen. Zwischendurch gibt es aber immer wieder Zeiten, in denen ich auch mal meine Stunden reduziere. Wir reagieren immer auf die aktuelle Lage. Es ist zwar anstrengend, aber nicht negativ anstrengend.
"Trainieren geht auch mit Schwangerschaft"
Während Sie schon für "Die Astronautin" arbeiteten, wurden Sie 2018 schwanger. Was bedeutete das für Sie?
Irgendwann musste ich natürlich mit der Information rausrücken. Ich weiß noch, dass ich supernervös war. In meinem Umfeld war die erste Reaktion immer: "Ach, dann musst du jetzt bestimmt mit dem Training aufhören." Als ich es dann Claudia Kessler erzählt habe, hat sie sich aber echt und ehrlich gefreut – und zwar sofort, ich glaube, sie brauchte nicht einmal eine Schrecksekunde. Das hat mir viel gegeben. Letztendlich ließ sich das Training wunderbar mit der Schwangerschaft vereinbaren, ich musste mich nur mit dem Pilotinnenschein beeilen und das Tauchtraining in das Frühjahr 2019 schieben. Bei der nächsten Schwangerschaft war dann alles sehr unaufgeregt, hier musste nicht mal das Training verschoben werden – beim Höhlentraining war der Bauch noch klein genug.
Wie finden Ihre Töchter es, dass Sie ins All fliegen wollen?
Da ihr Opa ja auch schon Astronaut war, ist es gar nicht so besonders für sie. Opa war im All, Mama will auch, keine große Sache. Sie freuen sich, wenn sie bei Trainings mitkommen dürfen. Und meine ältere Tochter findet es total interessant, dass ich einen Tiktok-Kanal habe.
Was gehört zu Ihrem Training?
Ein Basistraining bringt die Mitglieder im Astronautenkorps auf den gleichen Stand. Dazu gehören Tauchschein, Flugschein und eine theoretische Ausbildung – in Raumfahrttechnik, Astrophysik und Meteorologie. Angefangen haben wir mit Parabelflügen bei der russischen Weltraumorganisation Roskosmos in Star City in der Nähe von Moskau.
Was ist ein Parabelflug?
Das Flugzeug fliegt Parabeln, kurz vorm Scheitelpunkt drosselt es die Geschwindigkeit und geht in eine Art Wurfbahn. In der Zeit ist man im Innenraum für etwa 20 Sekunden schwerelos. Davor und danach, beim Steig- und Sinkflug, fühlt man sich dafür doppelt so schwer wie sonst.
Wie fühlt sich Schwerelosigkeit an?
Kennen Sie das Gefühl, vor dem Einschlafen wegzusacken? So lässt sich der Übergang in die Schwerelosigkeit am ehesten beschreiben. Aber das Gefühl ist anders als alles, was wir kennen. Beim Tauchen schwebt man auch, aber man kann sich durch eigene Kraft vorwärtsbewegen. In der Schwerelosigkeit geht das nicht. Man ist herrlich leicht, aber es ist überraschend. Wir waren auch in der Humanzentrifuge, um zu erleben, wie sich ein Raketenstart anfühlt: Durch das schnelle Drehen der Kabine kann man die Kräfte simulieren, die beim Raketenstart auf den Körper einwirken. Auch das ist eine einzigartige Erfahrung.
Was macht Ihnen im Training weniger Spaß?
Wasser. Als ich schwanger war, habe ich gemerkt, dass ich mich fit halten muss, um das Training noch schaffen zu können. Meine Kinder hatten Schwimmunterricht, und ich habe dann immer am Laptop gearbeitet, statt selbst schwimmen zu gehen. Das konnte ich einfach nicht, redete ich mir ein.
"Ich kann allem etwas Spannendes abgewinnen"
Wirklich nicht?
Na ja, irgendwann kam mir die Idee, den Kindern nach deren Schwimmstunde eine Portion Pommes zu kaufen und selbst Unterricht zu nehmen. Ich musste üben, vor allem Kraulen. Spaß hat es zuerst nicht gemacht. Morgens ins kalte Wasser, schwanger, vor der Arbeit, na ja. Aber dann hab ich mir vorgenommen, diverse Schwimmabzeichen zu machen, um mich zu motivieren. Und schon bin ich sogar freiwillig bei Dienstreisen noch schnell ins Freibad, um meine Bahnen zu ziehen. Letztlich kann ich in allem etwas Neues, Spannendes entdecken.
Wo trainieren Sie noch?
Letztes Jahr haben wir ein mehrtägiges Höhlentraining absolviert, wo wir Proben für Experimente nahmen. Da ist keine lebensfreundliche Umgebung, ein bisschen wie auf einer Raumstation. Wir schlafen dort auch, um die psychische Belastung zu trainieren. Da gibt es dann Tests, bei denen wir nicht genau wissen, was auf uns zukommt.
Welche psychische Stabilität ist im Weltraum gefragt?
In Auswahlverfahren wird sehr viel Wert darauf gelegt, wie gut man sich selbst reflektieren kann. Auch in Konfliktsituationen, die ja auch simuliert werden. Man muss erkennen: Was genau stört mich gerade? Ist es ein Sachkonflikt oder ist es etwas Persönliches? Bin ich emotional getriggert, oder warum reagiere ich so? Das muss man schnell sortieren können. In der Raumfähre kann es im Extremfall lebensrettend sein, sich schnell wieder konzentrieren zu können. Zurzeit ist aber vor allem Ambiguitätstoleranz gefragt.
. . . also Widersprüche auszuhalten.
Ich komme ja aus der Raumfahrt, deshalb war mir klar, dass unser erstes Ziel – 2020 – nicht klappen würde. Mal sehen, wann es letztlich so weit sein wird. Der ESA-Astronaut, der sich aktuell auf der Raumstation befindet, wurde 2008 ausgewählt und ist jetzt zum ersten Mal im All – wir haben also noch ein paar Jahre.
"Männer reagieren anders auf Schwerelosigkeit"
Was hilft dabei?
Dem Training mit Energie nachzugehen und sich auf keinen Fall zu sagen, das bringt doch eh alles nichts. Ich lerne so viel Spannendes, dass ich das ganz gut kann.
Auf welche Mission im Weltraum bereiten Sie sich vor?
Eine Wissenschaftsmission von zehn bis 14 Tagen. Wir werden humanphysiologische Experimente machen. Aufgrund internationaler Datenschutzrichtlinien werden medizinische Daten nicht geteilt, das heißt: In Deutschland gibt es genau drei Datensätze zu Frauen in der Schwerelosigkeit. Männliche und weibliche Körper sind unterschiedlich, klar. Bei Männern verschlechtert sich die Sehkraft in der Schwerelosigkeit signifikant – bei Frauen wurde dieser Effekt noch nicht festgestellt. Wir untersuchen auch Auswirkungen auf Hormone, Blut, die Knochendichte. Und wir werden darauf achten, dass die gesamte Mission klimaneutral wird – das ist mir als Klimaforscherin besonders wichtig.
Juri Gagarin hat gesagt, er habe im Weltraum keinen Gott gefunden. Welchen großen Fragen sind Sie auf der Spur?
Warum sind wir hier? Die Frage bewegt mich wirklich. Ich bin gespannt, ob sich Erkenntnisse auftun, wenn ich die Erde mit eigenen Augen von oben sehe.
Können Sie sich vorstellen, dass Menschen eines Tages auf einem anderen Planeten leben werden?
Bestimmt, aber nicht auf einer Erde 2.0. Dafür gibt es wohl keinen Ersatz.
Warum brauchen wir Weltraumforschung?
Wenn man eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmacht: Wegwerfwindeln sind eine Errungenschaft der Raumfahrt, aber auch einiges anderes, was wir jetzt ganz selbstverständlich benutzen. Laptops, Digitalkameras und Barcodes sind ja alle nicht mehr wegzudenken. Die enormen finanziellen Investitionen in die Raumfahrt lohnen sich also auch für uns auf der Erde. Außerdem arbeiten wir in einem internationalen Projekt. Das gemeinsame Interesse an Raumfahrt hat auch einen einzigartigen diplomatischen Charakter.
"Noch andere Lebensziele jenseits der Raumfahrt"
Und außerhalb der Kosten-Nutzen-Rechnung?
Meiner Ansicht nach gehört es zur Kultur des Menschen, sich an den Grenzen dessen zu bewegen, was wir kennen. Wieso mich genau das so reizt – das werde ich hoffentlich noch herausfinden!
Und wenn am Ende doch Suzanna Randall ins All fliegt und nicht Sie?
Im Moment spielt dieser Gedanke noch keine Rolle, da wir beide hart dafür arbeiten, dass nach zwölf Männern überhaupt mal eine deutsche Frau ins All kommt. Sicher wäre ich zunächst enttäuscht, sollte Suzanna zuerst gewählt werden – ich hoffe, aber nur kurz. Wir trainieren ja beide bis zum Start gemeinsam. Und auch am Boden warten spannende Aufgaben im Team. Außerdem planen wir, nach der ersten auch die zweite deutsche Frau ins All zu schicken. Notfalls dauert es mit meinem Traum dann halt ein paar Jahre länger. Falls es nie so weit kommt, habe ich zum Glück noch das ein oder andere Lebensziel, das mit Raumfahrt so gar nichts zu tun hat.
Unser Weg ins Weltall: Auf 64 Seiten beschreiben Insa Thiele-Eich und Suzanna Randall, wie sie schon als Kinder vom Weltraum geträumt haben und was sie trainieren, um den Traum wahr werden zu lassen.
Oetinger-Verlag, 2021, 8 Euro.