Thomas Rheindorf - Rose im Garten
Thomas Rheindorf
La Rose en vie, la vie en Rose
Auch unser Garten wurde durch das Hochwasser komplett zerstört. Nur eine Pflanze überlebte. Ein Rosenwunder, schön wie Weihnachten.
17.12.2021

Regelmäßig besuche ich jetzt zur Winterzeit mein verlorenes und wiederzugewinnendes Heim. Zum Planen, Messen, Handwerker engagieren. Drinnen ist es so kalt wie das Herz der Schneekönigin, draußen liegt, seit die Vegetation pausiert, ein Stück fast blanke, braune Scholle ums Haus.

Einerseits ein Erfolg, denn LKW-Ladungen von Müll und Gestrüpp sind bereits verschwunden. Andererseits ist es die Offenbarung der gärtnerischen Stunde null. Und das in einem Ambiente gerüttelter Trostlosigkeit. Über Jahre bot der gepflegte Garten auf dem Nebengrundstück Gelegenheit, klammheimlich eigene Defizite zu verspüren – um diese geschickt hinter Herablassung zu verstecken. Das Hochwasser hat hüben wie drüben den Resetknopf gedrückt.

Also nur Tristesse draußen vor der Tür? Nicht ganz. Als im Juli Baumgiganten wie verlorenes Spielzeug ahrabwärts trieben, da hielt sie stand im Garten: unsere Rose. Sie ist noch jung und war offenbar nicht gewillt, irgendwo als Unterwasserpflanze weiterzumachen, als die Fluten über sie hergingen. Sie ist gekommen, um zu bleiben. Das danke ich ihr.

Der Rosenbogen sollte die neue Treppe umspannen

Ein Jahr vor der Flut saßen die Gattin und ich zu blauen Stunde in dem, was passionierte Gärtner nicht Garten genannt hätten. Wir plauderten über eine Abänderung dieses Zustands mit ruhiger Hand. Aus dem sanften Säuseln unseres Brainstormings manifestierte sich ein Rosenbogen. Er sollte die zum Haus führende, neu angelegte Treppenanlage überspannen und als ein blühendes Portal zum Eintreten verführen.

Die Ernüchterung folgte schnell, denn Baumärkte hielten nicht bereit, was uns ebenbürtig schien. Schließlich wurden wir bei einem Hersteller fündig, der vorzugsweise öffentliche Bauträger bedient. Was angeliefert wurde, war schwer: Eine Konstruktion aus verschweißten, feuerverzinkten Armiereisen. Zarte Gemüter könnten es für das Gerippe eines Arc de Triomphe halten. Mit daumendicken Schrauben und etlichen Säcken Zement wurde der Torbogen errichtet. Was fehlte, war die Rose.

„Sie ist anspruchslos, gedeiht ohne Rückschnitt und bedarf kaum der Pflege.“

Rosen sind ja eine Welt für sich. Die Wahl fiel schließlich auf eine Rambler-Rose. Sehr alt, angeblich 1827 vom Obergärtner des Herzogs von Orleans, Antoine A. Jacques, gezüchtet. Man muss eine realistische Selbsteinschätzung haben im Leben. In der Beschreibung stand: „Sie ist anspruchslos, gedeiht ohne Rückschnitt und bedarf kaum der Pflege.“ Außerdem sollte sie stark blühen und gut riechen. Perfekt für uns. Von der Gärtnerei meines Vertrauens kam ein  – man muss es so sagen – Töpfchen mit strohhalmgroßen Stängeln. Liebevoll wie der kleine Prinz auf seinem Planeten kümmerte ich mich um die Kleine am Fuße des Stahlgestells. Das war im Herbst 2020. Die Rose blieb bis lange in den Frühling hinein unnahbar. Dann aber schwang sie sich empor und rankte voll jugendlichem Ungestüm senkrecht nach oben. Sorgfältig flocht ich die biegsamen Ranken in das Rankgerüst. Mitte Juli reichte sie mir schon über die Hüfte.

Félicité et Perpétue – Glück und Ewigkeit

Und dann ging sie unter. Das Wasser strömte drei Meter hoch über sie hinweg. Unrat verfing sich büschelweise, die Dornen hielten zwei Röntgenbilder von Gebissen aus der Praxis eines Zahnarztes fest. Zehn Meter neben ihr zerbarst ein massiver Zaun aus Eichenbohlen. Aber ihre eiserne Stütze wich keinen Millimeter. Die Pflanze sah schlimm aus, als sie wieder auftauchte. Ich reinigte sie sorgfältig, spendierte ihr sogar Trinkwasser, das der THW für die Bevölkerung bereitstellte. Im nächsten Jahr wird sie blühen. Der Name der Sorte: Félicité et Perpétue – Glück und Ewigkeit.

PS: Mein Blog begann mit meinem ersten Eintrag über Weingläser, die auf ihrem Tisch bei uns im Wohnzimmer erst von der Flut hochgetragen, dann wieder sanft abgesengt wurden - ein kleines Wunder wie unsere Rose. "Hochwasser" geht jetzt bis zum 7. Januar in die Weihnachtspause.

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Kolumne

Thomas Rheindorf

Als das Hochwasser kam, war Pastor Thomas Rheindorf gerade zur Seelsorge unterwegs. Geschichten aus dem Ahrtal: über Trauer, Tod und Hoffnung.