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Das letzte Mal trafen wir uns genau eine Woche vor dem Hochwasser „bei den Bäumen“. So wird ein neues Urnenfeld auf dem Ahrweiler Bergfriedhof genannt. Ich war von Amts wegen (also als Pastor) dort, Frau Schimansky trug einen Stoffbeutel, aus dem eine Harke herausragte, und hatte ein Öllicht in der Hand.
Wir hatten uns fast eineinhalb Jahre nicht gesehen und freuten uns jetzt beide. Wir plauderten über die herrliche Aussicht und den Murks mit Corona und über hoffentlich bald wieder startenden Konzerte in der Ahrweiler Synagoge. „Geht es denn bald wieder los?“, wollte sie wissen. „Ja“, sagte ich, „30. Juli, Klarinette und Schifferklavier, das wird sicher ein guter Auftakt.“ „Ich bin dabei, auf mich können Sie immer zählen.“ „Das weiß ich. Was täten wir ohne Sie?“
Wir schwiegen einen Moment, hörten den Vögeln zu. „Schön hier bei den Bäumen, das könnte ich mir auch für mich mal vorstellen“, sagte sie. „Aber bitte nicht so bald“, antwortete ich. Wir lachten.
Ich kenne sie seit Jahren, und weiß nicht mal ihren Vornamen
Frau Schimansky war wie der gute Geist in der Ahrweiler Synagoge. Das jüdische Gotteshaus brannte 1938, wurde aber schnell gelöscht, weil die Ahrweiler nicht wollten, dass das Feuer in ihrer Altstadt Schaden anrichtete. Seit 1979 kümmert sich ein Verein um das Haus und organisiert Kulturveranstaltungen. Vor ein paar Jahren wurde ich Vorsitzender. Da war Frau Schimansky schon lange aktiv, aber immer eher im Hintgergrund.
Nie wollte sie, die bei kaum einer Veranstaltung fehlte, in den Vorstand, nie wollte sie einen Schlüssel. Sie kam stets ganz früh, richtete die Stühle, stand bei der Einlasskontrolle, verkaufte in der Pause Wein und Wasser, am Ende spülte sie mit ab. Eine kleine Frau im Rentenalter mit großer Energie, immer freundlich, mit leuchtenden Augen.
Ich weiß nichts über sie, fällt mir heute auf, nicht einmal Ihren Vornamen. Sie war immer die Frau Schimansky. Wörter wie der namensgleiche Tatort-Kommissar habe ich sie nie sagen hören. Besonders geehrt zu werden, glaube ich, es wäre ihr peinlich gewesen. Zwei Tage vor dem Hochwasser telefonierten wir noch einmal, wie wir es genau mit coronagerechtem Getränkeverkauf machen wollten, und wie lange vor dem Konzert wir uns treffen wollten. Es wäre das erste seit März 2020 gewesen.
Der ältere Herr spricht nicht weiter
Die Versorgungsstelle am Ahrweiler Bahnhof, wo Betroffene sich mit Essen, Trinkwasser, Medizin und Reinigungsmittel versorgen können, ist um die Mittagszeit ein Basar der Geschichten und Informationen. Hier schnappe ich vor ein paar Tagen im Stimmengewirr den Namen Schimansky auf. Ich spreche den älteren Mann an. Im Haus auf der Schützenstraße (jetzt weiß ich, wo sie gewohnt hat) habe sein Kamerad, der ihr Mann war (jetzt weiß ich, dass sie mit einem Soldaten verheiratet war), versucht, sie am Arm auf die Treppe zum ersten Stock zu ziehen. Er habe sie nicht halten können, sie sei dann zurück in die Wohnung getrieben. Der ältere Herr spricht nicht weiter.
Frau Schimansky kommt nicht mehr zur Ahrweiler Synagoge. Ich hoffe, dass sich ihr Wunsch erfüllt, unter den Bäumen zu ruhen. Es ist ein schöner, friedvoller Ort. Vielleicht finde ich dort einmal einen Hinweis auf sie. Dann, Frau Schimansky, werde ich wissen, wie ihr voller Name war.
Blog "Frau Schimansky kommt nicht mehr"
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Hallo,
habe den Blog
https://chrismon.evangelisch.de/blogs/hochwasser/thomas-rheindorf-trifft-eine-frau-auf-dem-friedhof-ahrweiler-zum-letzten-mal
gefunden und gelesen.
Ist schön geschrieben, trifft die Stimmung, in der wir uns z.Zt. befinden. Vielen Dank dafür!
Sie war meine Mutter. Können Sie bitte Ihren Namen korrigieren und richtig schreiben? Sie heisst nicht "Schmimanski" oder "Schimanski", sondern "Schimansky" mit nur einem "m" und hinten mit "y". Vielen Dank!
Viele Grüße
Dirk Schimansky
Hattingen
Ihr Kommentar
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Sehr geehrter Herr Schimansky,
danke für Ihren Kommentar. Es freut uns, dass Ihnen der Blogeintrag unseres Autors gefällt. Den Nachnamen haben wir korrigiert. Entschuldigen Sie bitte die falsche Schreibweise.
Michael Güthlein
chrismon-Redaktion