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Friedenskirche Ahrweiler, Sonntag, 1. August, 11 Uhr
Wie schön, denke ich, zwei Taufen und Abendmahl in einem Hauptgottesdienst am Sonntagmorgen, das ist ja wie in der guten alten Zeit. Also der vor Corona. Der Altar ist liebevoll hergerichtet: ein Bouquet bunter Sommerblumen, silberne Taufkanne, Brotkörbe. Nur der Kelch fehlt.
Auf dem Weg zur Kirche kommt mir eine Bekannte entgegen. „Seit der Flut gibt es keine Sonntage mehr“, meint sie in ihren Gummistiefeln, während neben uns LKWs, Traktorgespanne und Feuerwehrwagen gelben Staub aufwirbeln. Wie ein Künder des Schlimmen legt er sich über alles im Tal. Zur Friedenskirche kam die Flutwelle nicht, sie liegt zu hoch. Der Hauptkirche im Stadtteil Bad Neuenahr wurde vom Wasser übel mitgespielt.
Vor dem Gottesdienst beamt Pfarrer Bach eine Instagram-Andacht an die Wand. Sie beginnt mit „Manchmal ist mir alles zu viel“ und endet mit „Und merke: alles ist gut.“ Margot Käßmann bekam vor Jahren viel Ärger, als sie predigte: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Ahrtal statt Afghanistan und es hätte gepasst zum Auftakt.
Viele haben Atemwegsprobleme wegen des Staubs
30 Menschen haben sich versammelt. Zieht man zwei Taufgesellschaften, vier Journalisten, eine Kantorin und einen Pfarrer ab, bleiben vier übrig. Genug für Jesus, aber vielleicht ist die Zeit für Gottesdienste einfach noch nicht wieder da.
Im Eingangslied heißt es „fröhlich von Schlaf aufstehen wir“. Ich muss an meinen alten Elektriker denken, den ich tags zuvor traf: Auf einen Stockschirm gestützt sei er durchs Wasser gewatet, um zurück zu seiner Frau in die Wohnung zu gelangen. „Ich hab’s einfach gemacht, hätte ich den Halt verloren, ich wäre nicht mehr da!“ Dann weint er leise. Ob er ein fröhliches Erwachen hatte? Die vierte Strophe entschädigt für den situativen Fauxpas: „Lass unser Werk geraten wohl, was ein jeder ausrichten soll...“
Die Taufansprachen sind persönlich und empathisch, vieles ist nur angedeutet, da bleibt die Gemeinde außen vor. Egal, man freut sich mit den Menschen in den weißen Hemden und der sauberen Kleidung. Kinder lassen Wasser ins Taufbecken. Als der Pfarrer über die Liebe sprechen möchte, erzählt er, wie einst seine Mutter im Sterben lag. Seine Stimme ist belegt. Viele haben Atemwegsprobleme wegen des Staubs, er vielleicht auch. Nach der Taufe fordert er zum Klatschen für die Täuflinge auf. Es klingt pflichtschuldig.
Pfarrer Bach spiegelt die Verfasstheit seiner Gemeinde
Die Predigt geht über das Gleichnis vom Hausbau am Ende von Kapitel sieben im Matthäusevangelium. Das ist schon ein bisschen pikant, denke ich und bin gespannt. Es folgt ein rührender Sprech-Denk-Versuch aus eigenem Fluterleben und dogmatischen Formeln.
Das erste Abendmahl des Jahres in der Gemeinde geht mit Weinhostien, also zwei in eins, im Zellophantütchen am Platz. Nicht wirklich dasselbe, aber gar nicht schlecht nach so langer Zeit.
Nach einer Stunde bleibt der Eindruck: In seinem Bemühen um Normalität, seiner tiefen Be- und Getroffenheit, seinem Ringen um Angemessenheit und seinem Scheitern an der Gesamtsituation spiegelt Pfarrer Bach die Verfasstheit seiner Gemeinde, zu der das Wasser kam.
300 Meter östlich der Kirche liegt der Bahnhof. In der wirklich guten alten Zeit gingen manche nach dem Gottesdienst zum Mittagessen ins Bahnhofsrestaurant. Das gibt es schon lange nicht mehr. Vor dem Bahnhof ist jetzt ein Servicepunkt mit Gratisessen für alle eingerichtet worden. Ich ergattere Hühnchen aus dem Smoker und Grillgemüse. Der Gottesdienst geht hier weiter – als Speisungswunder.