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Wie gesagt, als Kind habe ich wirklich gern mit meinen „Cowboy und Indianer“-Figuren und denen meines Vaters gespielt. Unsere Kinder haben die meisten von ihnen kaputtgespielt, als sie klein waren. Wir haben sie nicht nachgekauft. Kinder, so mein Eindruck, geben sich heute anderen Spielen hin. Das finde ich sinnvoll. Inzwischen ist uns doch, wenn auch mit erheblicher Verspätung, bewusst geworden, dass das Verhältnis zwischen den indigenen Amerikanern und den aus Europa stammenden Siedlern kein Spaß, sondern ein epochaler Genozid gewesen ist. An dessen Folgen leiden Indigene immer noch. Es hat also nichts mit sogenannter politischer Korrektheit zu tun, wenn es mit „Cowboy und Indianer“ nun ein Ende hat. Ich fände es ja auch nicht so großartig, wenn Kinder „Christenverfolgung“ spielten.
Doch jetzt erfuhr ich, dass es eine neue Form des „Playing Indian“ (so ein Buchtitel aus den USA) gibt. In einem faszinierenden Podcast der „New York Times“ berichtet Sarah Viren von Fällen, in denen Weiße sich als Indigene ausgegeben haben. Es sind vor allem Menschen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, die „ethnic fraud“ begehen, also „Ethno-Betrug“. Die Gründe sind vielfältig. Manche Weiße mögen nicht zu einem schuldbeladenen Bevölkerungsteil gehören, lieber schleichen sie hinüber auf die Seite der Opfer. Das verspricht ein beruhigtes Gewissen, moralische Überlegenheit, Renommee, Macht, handfeste Vorteile: Studienplätze, Stipendien, Stellen, Förderungen.
Man kann aus diesen Fällen einiges über die Logik des Betrugs lernen. Oft beginnt es unmerklich, wie ungewollt, aus lauter vermeintlich guten Motiven, verfestigt sich dann aber zusehends zu einer Lebensform, aus der man nicht mehr heraustreten kann, weshalb man auf sachliche Nachfragen mit Schweigen, Lügen oder Drohungen reagiert.
Ermöglicht wird „ethnic fraud“ zum einen dadurch, dass US-amerikanische Universitäten zwar Indigene fördern wollen, ihre ethnische Zugehörigkeit aber aus guten Gründen nicht überprüfen. Zum anderen hat die Auffassung Auftrieb, dass auch die Zugehörigkeit zu einer Minderheit – so wie die geschlechtliche Identität – eine soziale Konstruktion sei. Das ist nicht völlig falsch. Eine „biologische“ Definition des Menschen, so wie Rassisten sich dies vorstellen (über die Untersuchung von Blut, Schädelformen oder Genen), ist unmöglich. Das heißt aber keineswegs, dass alles, was die Identität eines Menschen ausmacht, konstruiert wäre. Oder dass man sich indigen nennen dürfte, nur weil es einem so gefällt. Das lehrt der erbitterte Protest indigener Gemeinschaften. Sie fühlen sich von weißen Akademikerinnen, die behaupten, sie seien Cherokee oder Sioux usw., verraten, betrogen, bestohlen, verhöhnt. So beharren sie auf dem Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, Ehrlichkeit und Betrug.
Wie viele Fälle von „ethnic fraud“ es gibt, lässt sich nicht sagen. Aber selbst wenn es nur wenige sind, richten sie doch erheblichen Schaden an, weil sie die notwendige Förderung von Indigenen in ein problematisches Licht rücken und rassistischer Propaganda zuarbeiten. Dies ist übrigens kein Problem nur der USA. In Deutschland hat es einige, wenige Fälle gegeben, in denen nichtjüdische Deutsche behauptet haben, sie seien Shoa-Überlebende oder deren Nachfahren.
Ich spiele heute nicht mehr „Cowboy und Indianer“. Die Figuren meines Vaters aber lasse ich in meinem Regal stehen. Sie erinnern mich an ihn. Und sie sind mir ein kleine Mahnung, stets an den Unterschied zu denken zwischen dem, womit man spielt, und dem, womit man es nicht tut.
P.S.: Etwas völlig anderes und sehr Schönes kann man hier sehen, nämlich ein anrührendes Beispiel dafür, was eine Kirchengemeinde in der Pandemie bieten kann.