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Das Berliner Schloss zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Ein bisschen zu viel, wie ich finde. Aber es wurden ja große Summen in seinen Bau gesteckt. Und was in ihm geschehen soll, bleibt mit ungelösten Fragen verbunden. Viel lieber ist mir und viel interessanter finde ich ein Bauwerk, das nur wenige Schritte entfernt liegt: die Nikolai-Kirche. Sie wird nicht mehr als Kirche genutzt, sondern ist Teil des Berliner Stadtmuseums. Aber immer noch strahlt sie eine sakrale Aura aus. Jetzt noch mehr, denn zwei traurige Leerstellen wurden gefüllt.
Zwei barocke Grabkapellen beherbergte die Nikolai-Kirche. Sie stellten die hochästhetische und theologisch anspruchsvolle Trauerkultur des Alten Protestantismus (bzw. derer, die sich damals so etwas leisten konnten) vor. Der Berliner Hofbildhauer und Architekt Johann Georg Glume hatte sie zwischen 1713 und 1732 für die Familien Kraut und Schindler geschaffen. Bei der Zerstörung der Kirche 1945 wurden auch sie schwer verletzt. 1970 wurden sie ausgebaut, ihre Einzelteile weggeschafft und später von Vandalen beschädigt. Ihre Nischen blieben leer. Das hat dem Kurator Albrecht Henkys keine Ruhe gelassen. Mit vielen Partnern hat er deshalb dafür gesorgt, dass sie wieder restauriert/rekonstruiert wurden.
An der rechten Seite des Kirchenschiffs kann man nun die Schindler-Kapelle bestaunen. Ihre Fragmente hatte man aus einem U-Bahn-Schacht bergen, sanieren und neu einbauen müssen. Jetzt ist der alte Eindruck wieder da, die Brüche der Geschichte aber bleiben sichtbar. Es ist ein herrlich-frommes, mehrdeutiges Theater: Christus erhebt sich aus dem Grab, vor ihm sitzen zwei Engel, deren Köpfe aber 1970 abgeschlagen wurden und seither vermisst werden. Tod und ewiges Leben bilden so ungewollt eine Bildeinheit, von hinten fein ausgeleuchtet.
Gleich links im Eingang befindet sich die Kraut-Kapelle. Ihre Wand- und Deckengemälde sind unwiederbringlich verloren. Deshalb wurde die Kapelle zum „KUNSTRAUM KRAUT“ umgestaltet. Wechselnde Künstlerinnen und Künstler ersetzen, ergänzen, kommentieren diese Kapelle mit ihren Bildern. Den Anfang machen Robert Weber und Hans Scheib mit einer ziemlich poppigen Interpretation des verlorenen Auferstehungsbildes an der Wand.
Beide Rekonstruktionen/Restaurierungen zeigen, was barocke Raumkunst vermochte, aber nicht in solch einem Ausmaß wie das Schloss nebenan. Sie sind deshalb auch nicht so überladen mit Erwartungen. Sie sind einfach nur schön und bedeutungsvoll, laden zum Schauen und Nachdenken ein. Wer also sein Leben nicht damit beschweren möchte, fruchtlos über das Berliner Schloss zu streiten, dem empfehle ich einen Besuch von St. Nikolai. Und allen anderen natürlich auch.
P.S.: „Flagge zeigen“ – muss das sein? Über diese Frage, wichtig nicht nur während der Fußball-EM, spreche ich mit Enrica Brissa. Autor und Protokollchef des Deutschen Bundestags. Man kann die neue Folge meines Podcasts über die Website von reflab.ch oder Spotify hören.