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Ich hatte es hier ja schon öfter erzählt: Die Frage nach neuen Wohnformen für sich selbst stellen viele erst, wenn sie älter werden. Bei einigen meiner Freundinnen und Bekannten kommt diese Idee zu spät. Für wirklich große Veränderungen reichen weder die Kraft noch der Lebensmut. Das finde ich schade.
Umso mehr freute ich mich, als ich vor ein paar Monaten ein Buch in die Hand bekam, in dem zwei Kolleginnen genau dieses Thema aufgriffen: "Statt einsam gemeinsam. Wie wir im Alter leben wollen."
Die Fernsehjournalistinnen Christiane Hastrich und Barbara Lueg erzählen lebendig und gut gelaunt von allen möglichen "Wohnglück"-Versuchen älterer und auch sehr alter Menschen. Für ihre Recherchen fuhren sie quer durch Deutschland und trafen auf junggebliebene Senioren, die im Alter anders leben wollen. Sie waren auch auf dem Tiny-House Platz im Fichtelgebirge, von dem mir Leserin Anja Pausch erzählt hatte; auch der Pflegebauernhof, den wir bei chrismon schon einmal beschrieben hatten, ist dabei.
Meine Empfehlung: Lest das Buch!
Aber das kann für den Blog nicht genug sein. Also habe ich Christiane und Barbara gefragt, ob sie für die Wohnglück-Community noch einen kleinen Extra-Text schreiben könnten. Haben sie gemacht. Vielen Dank ihr beiden - Probewohnen in einer Seniorenresidenz. Ein super Tipp zum Nachmachen. Und das schöne Bild oben aus Bad Füssing spricht Bände. Ihr hattet Spaß miteinander. Hier der Text:
So viel Leben, so viel Liebe
Wir dachten, es würde nach Franzbrandwein riechen. Nach Restlaufzeit. Nach Ende. Nach Tod. Doch es kam alles ganz anders.
Wir besuchen die Seniorenresidenz Bad Füssing. Alfred empfängt uns mit seinem Rollator strahlend im Foyer als wir eintreffen. Er wohnt seit drei Monaten hier. Ein stattlicher Mann, hochgewachsen. 96 Jahre alt. Er sagt: „ich befinde mich hier in der Phase der Erneuerung.“ Echt jetzt? Wir begleiten ihn in sein Apartment. Auf dem Tisch ein voller Aschbecher. Alfred hat wieder angefangen zu rauchen. Warum auch nicht? Mit 96? Er zündet sich eine Kippe nach der anderen an und verweist auf sein Toupet. „Ich erhoffe mir hier so noch Chancen.“ Mit seiner Lebensgefährtin, die noch allein in Bad Füssing wohnt, macht er am selben Tag Schluss. „Keine Herzenswärme“, kommentiert er kurz, grinst und macht sich auf in den Speisesaal.
Am nächsten Morgen sitzen wir auf Stühlen im Kreis mit etlichen Bewohnerinnen. Punkt 8.00 Uhr beginnt die Sitzgymnastik. Die meisten sind über 90. Tiefe Falten ziehen sich durch ihre Gesichter. So viel Leben, so viel Liebe. Leni reckt ihre Arme lachend nach oben. „Ich habe hier die beste Zeit meines Lebens“, erzählt sie uns. „Endlich Freiheit. Kein Druck mehr. Nette Gesellschaft. Und kochen muss ich auch nicht mehr.“
Wir sind verblüfft. So geht es vielen hier. Ein Leben mit eigenen Möbeln, in eigenen Wohnungen. Und all das behütet und rundumversorgt. Es gibt Tanzgruppen, Leseabende, Nordic Walking-Teams. Einsam sei hier niemand, sagen sie.
Im Speisesaal sitzen Waltraud und Elisabeth. Aufgebrezelt im Kostüm mit glitzernden Ohrringen. Seit über zehn Jahren leben sie schon hier. Ihre Männer haben sie längst beerdigt. Kinder kommen selten. Also erzählen sie sich ihr Leben gegenseitig. Und falls die Gesundheit irgendwann dann doch nicht mehr mitmacht, können sie sich ambulante Pflege hinzubuchen.
Drei Tage dürfen wir in der Residenz probewohnen. Wir erleben einen bunten Alltag, fröhliche alte Menschen, die sich hier zu Hause fühlen, Abwechslung finden und Struktur. Probeleben – das ist ein guter Tipp für alle, die mit dem Gedanken spielen, ihren Lebensabend in einer Seniorenresidenz zu verbringen. Es ist tatsächlich viel schöner als man denkt."
PS: Für alle, die die Autorin Barbara Lueg im Original hören wollen: Hier erzählen sie im Podcast von Palais Fluxx über ihr Buch und ihre Recherche.
Buchhinweis:
Christiane Hastrich/Barbara Lueg: Statt einsam gemeinsam. Wie wir im Alter leben wollen. 320 Seiten, Eisele Verlag 2021, 20 Euro.