Jana Nemmt (Jahrgang 1992)*:
Es passiert hier ständig, dass Leute ermordet werden, die sich gewaltfrei für die Menschenrechte in den Philippinen einsetzen. Auch wenn es schrecklich ist, wir können uns davon nicht jedes Mal komplett aus der Bahn werfen lassen. Aber bei Zara . . . Es war für mich ein Riesenschock, als ich erfuhr, dass Zara Alvarez am 17. August letztes Jahr ermordet worden ist.
Denn Zara war die erste Aktivistin, die ich zu ihrem Schutz begleitet habe, damals, vor gut sechs Jahren, als ich das erste Mal als Menschenrechtsbeobachterin für IPON hier war, also für das International Peace Observers Network. Ich war 22 und schob ein Jahr zwischen meinen Bachelor und den Master. Auch später – ich lebe mittlerweile überwiegend in den Philippinen und arbeite für eine Friedensorganisation – war ich weiterhin mit Zara im Kontakt, wir sind Freundinnen geworden.
Ich dachte: "So ein kleiner Mensch!"
Ich bin immer wieder beeindruckt, was die bloße Anwesenheit von Beobachterinnen, Beobachtern auszurichten vermag. Denn die Freiwilligen von IPON mischen sich ja nicht aktiv in Konflikte ein, sie sind lediglich präsent, beobachten und dokumentieren die Schikanen gegen Personen, die die Menschenrechte verteidigen. Das reicht häufig schon aus, um weitere Rechtsverletzungen zu verhindern.
Als ich Zara Alvarez das erste Mal in einem Café traf, ging ihr ein fast schon überlebensgroßer Ruf voraus. Sie hatte Menschenrechtsverletzungen durch das Militär dokumentiert und öffentlich gemacht: politische Morde, Folter, illegale Inhaftierungen, Einschüchterungsversuche. Darum und wegen ihrer Beliebtheit war sie für die Regierung ein hochrangiges Ziel. Sie wurde mit gefälschten Beweisen des Mordes angeklagt, zwei Jahre inhaftiert und in einer Art Schauprozess vor Gericht gestellt. Ich sollte sie vor Gericht begleiten. Vor diesem ersten Treffen hatte ich IPONs Fallberichte über sie gelesen. Mir war, als würde ich beim Lesen der Zitate ihre mutige Stimme hören.
Deswegen war ich überrascht, als dann diese auf den ersten Blick zerbrechlich wirkende Frau vor mir stand. Ich dachte: "So ein kleiner Mensch!" Aber es dauerte nicht lange, bis ich ihre Stärke wahrnahm. Sie hatte eine unglaubliche Strahlkraft, machte ihre Arbeit dabei mit viel Besonnenheit, aber auch sehr entschlossen. Zuletzt arbeitete Zara bei einer nicht staatlichen Gesundheitsinitiative und verteilte Hilfsgüter an Menschen, die durch die Corona-Maßnahmen ihr Einkommen verloren hatten.
Kurz vor ihrer Ermordung war Zara nach einem jahrelangen Gerichtsprozess endlich freigesprochen worden, was ein großer Erfolg für uns war. Wir hatten so lange und so mühselig an ihrer Sicherheit gearbeitet, waren auch all die Stunden im Gerichtssaal anwesend! Und dann wird sie einfach so auf der Straße erschossen, mit 39. Sie hatte sich gerade etwas zu essen geholt und war auf dem Weg nach Hause. Sie hinterließ ein minderjähriges Kind.
Es geschah, als wir nicht da waren
Besonders bitter war für uns, dass es geschah, als wir nicht präsent waren. Wir hatten uns ein paar Monate zuvor vorübergehend aus den Philippinen zurückgezogen, um zu überlegen, wie wir mit unserer Arbeit weitermachen. Sie war immer komplizierter und auch unsicherer geworden, seit Präsident Duterte an der Macht ist. Seit seinem Amtsantritt 2016 sind 318 Menschen ermordet worden, die sich für Menschenrechte einsetzen.
Ich merke, dass ich seit Zaras Tod vorsichtiger geworden bin, dass ich mir genauer überlege, was ich im Internet poste, teile und like, mit wem ich befreundet bin. Das ist frustrierend. Aber es gibt massive Drohungen, auch Todesdrohungen gegen Menschen in Zaras Umfeld. Die landen oft einfach so, als SMS oder Whatsapp, auf dem Telefon. Auch wenn ich selbst zum Glück nie so eine Nachricht bekommen habe – auch ich gehöre zu Zaras Umfeld.
Zara fehlt mir sehr. Als wir uns das letzte Mal trafen, erzählte ich ihr, wie mühsam ich die Umstrukturierungen bei IPON finde. Sie sagte: "Ach, solche Krisen macht jede Organisation durch. Eure Arbeit ist wichtig, ihr müsst durchhalten!" Ja, wir halten durch, wir machen weiter, wir lassen uns nicht einschüchtern. Aber wir tragen auch Sorge für die Sicherheit der Freiwilligen – das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen. Es ist ein Neuanfang nach Zaras Ermordung. Nicht so einer, auf dem ein Zauber liegt, kein unschuldiger Anfang. Aber ein notwendiger.
Protokoll: Anke Lübbert
*Name von der Redaktion geändert