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Ich war vor kurzem in einer Ausstellung. – So fängt man normalerweise keinen Text an. Denn erstens beginnt man niemals einen Text mit dem Wörtchen „ich“, und zweitens ist dies eigentlich gar keine Nachricht. Nur zurzeit ist das durchaus eine sensationelle Meldung, dass ausgerechnet ich in eine wunderschöne Kunstausstellung gehen durfte.
In der Guardini-Stiftung am Anhalter Bahnhof in Berlin, die mit staunenswerter Regelmäßigkeit Wunderbares möglich macht, ist zurzeit die Ausstellung „Ich zeichne die Zeit, du malst den Moment“ von Ulrike Seyboth und Ingo Fröhlich installiert. Aber leider nicht zu sehen. Nur wenn man sich an den großen Fensterflächen im Erdgeschoss die Nase plattdrückt, kann man immerhin erahnen, was einem da vorenthalten ist.
Ulrike Seyboth malt, und Ingo Fröhlich zeichnet. Beide sind miteinander verheiratet. Jeder hat ein eigenes Atelier, eigene künstlerische Themen, Fragen und Aufgaben. Aber regelmäßig nutzen sie gemeinsame Arbeitsaufenthalte fern ihrer Heimat Berlin – in Frankreich, Italien, der Schweiz oder Brandenburg –, um in großer Nähe oder gar im selben Raum zu arbeiten. Ich weiß von keinem anderen Künstlerpaar, dem so etwas möglich ist: wo nicht die eine dem anderen dient (so das übliche Modell in der Klassischen Moderne) oder wo beide zu einem Projekt verschmolzen sind (wie bei Christo und Jeanne-Claude).
Nun haben sie gemeinsam mit der Kuratorin Frizzi Krella ausgewählte Arbeiten aus zehn Jahren in der Guardini-Stiftung aufgehängt. Manche der hellen, glühend roten Malereien von Ulrike Seyboth kannte ich schon. Aber nicht ihre Exkursionen ins Blaue und schon gar nicht ihre neuen Collagen, in die sie zum Teil Stücke aus verworfenen Gemälden hineingerettet hat. Von Ingo Fröhlich kannte ich einige der kleinen und größeren Bleistiftzeichnungen. Aber jetzt sah ich zum ersten Mal, wie er die Wände einer Galerie in eine Zeichnung verwandeln kann. In die Bilder der einen wie des anderen kann ich mich versenken: in die Farbtupfer, -wolken und -ströme der einen und in die Linien, Wellen und Strudel des anderen. Hier aber konnte ich sie zusammenschauen, die eine und den anderen, mich von einem zum anderen führen lassen, Bezüge erahnen, ohne dass sie von einem Konzept vorgezeichnet wären, einem künstlerischen Gespräch ohne Worte zuhören. Als ich mich von den beiden verabschiedet hatte und wieder im bitteren Berliner Winter stand, merkte ich, wie gut mir dieser Besuch getan hatte, wie ich innerlich aufgetaut war.
Meines Glücks schäme ich mich keineswegs, aber einen Schmerz empfinde ich, dass bisher fast nur ich diese Ausstellung sehen konnte. Die Eröffnung sollte Anfang Dezember sein, das Ende der Ausstellung ist für den 26. März geplant. Danach soll es eigentlich nach Sens in Frankreich gehen. Doch die Türen blieben und bleiben geschlossen. Planungen wurden versucht und wieder verworfen. Es ging den beiden wie allen anderen Künstlerinnen und Künstlern auch: so viel Schönes, so viel Arbeit, so viel Vergeblichkeit. Dabei gibt solch ein Ausstellungsbesuch eine lang ersehnte Freude, eine dringend benötige Hoffnung, eine heilsamen Erinnerung daran, warum das Leben sich lohnt – Empfindungen, die man braucht, wenn man eine lange Notzeit überstehen soll.
Und dass sich ein solcher Besuch hygieneregelkonform gestalten ließe, dürfte doch längst klar sein.
P.S.: „Der Pablo-Escobar-Clan, die Morde, der Glaube und die Versöhnung!“ Darüber spreche ich in einer neuen Folge meines Podcasts mit dem kolumbianischen Schriftsteller und Theologen Juan Esteban Londoño. Sein Vater hatte für Escobar gearbeitet, dann hatte dieser ihn töten lassen – eines Tages kam einer der Mörder zu seinem Sohn, um ihn um Vergebung zu bitten. Man kann unser Gespräch über die Website von reflab.ch, Spotify oder Apple Podcasts hören.