Das kann man üben: Zufrieden sein mit dem, was eben geht
Mit Hadern und Zanken kommen wir die nächsten Wochen nicht weiter - Demut ist angesagt.
Tim Wegner
22.10.2020

Mein Laptop wurde unlängst neu aufgesetzt, und es meldeten sich Programme, die ich seit Jahren benutze, neu bei mir an. Outlook zum Beispiel. "Beginne etwas Großartiges", großschwatzte es auf meinem Bildschirm. Großartig? Weiß nicht. Passt gerade so wenig in diese Zeit wie Trump zu Amerika.

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

Irgendwann ist unser Leben vielleicht wieder großartig again, aber gerade scheint es mir vernünftiger, wenn wir uns mit dem zufriedengeben, was halt gerade noch so geht. "Geben Sie sich zufrieden und machen Sie das Bes­te draus", sagte mir neulich eine reichlich genervte Ärztin vom Gesundheitsamt. Ich war in Quarantäne, weil eines der Kinder nach dem Urlaub einen positiven Test hatte. Der Junge blieb gesund, ich auch, aber die Spielregeln sind so: Wer in engem Kontakt mit einer "Indexperson" war, muss 14 Tage in Quarantäne. Da hilft auch kein negativer Test (hatte ich!) und keine quengelnden Telefonate und E-Mails mit den Ämtern (machte ich!) – die Quarantäne ist eine staatliche Anordnung, in meinem Falle ein Brief, unterschrieben von der Oberbürgermeisterin: "Ich verfüge." Ich verstand.

Während ich meine Energien ans verpasste Leben verschwendete, wurden die 20-Jährigen kreativ

Und tat mich doch schwer mit der Demut vor den Regeln. Ungerecht! Herr Lauterbach sagt, zwei Wochen sind zu viel! Es scheint die Sonne, ich will raus! Ich haderte. Und mit mir zunächst der Sohn, der seinen Semesterbeginn verpasste, ebenso wie alle 18 Freunde, die er als Kontakt gemeldet hatte. Alle versäumten was: Uni, Familienfeiern, Praktika. Aber während ich meine Energien noch ans verpasste Leben verschwendete, wurden die 20-Jährigen schnell kreativ. Schickten sich kleine Videos aus der Quarantäne, übten mit der Gitarre das Lieblingslied, das sie im Sommer am Strand gehört hatten. Und fanden eh lustig, dass Rewe-Lieferdienst, ­Flaschenpost und Lieferando die tägliche Versorgung übernahmen. Sie ­gaben sich schneller zufrieden mit dem, was man nun mal nicht ­ändern konnte. Ich hoffe, ich habe fürs ­nächste Mal was gelernt.

Kann man Demut üben und dennoch von besseren Zeiten träumen? Unbedingt. Vom "ou topos", dem Nichtort, handelt eine spannende Aus­stellung zu Technikvisionen ab 18. Novem­ber im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main. Wir haben sie zum Anlass genommen, über Utopie und Dystopie nachzudenken. Zu erklären, was der Unterschied ist zwischen einer Utopie und dem "Reich Gottes", das wir bei jedem ­Vaterunser erbeten: Dein Reich komme. Und ich persönlich bin zufrieden, dass das wieder geht: ein ­Museum besuchen.

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Corona zeigt uns nachdrücklich was Mensch mit seiner Welt- und "Werteordnung" falsch, um es der Vernunftbegabung wegen gottgefällig zu ändern, und dann kommt so ein Text über Zufriedenheit und Demut.

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Herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren! Auf jede Ausgabe freue ich mich und lese sie intensiv und meist mehrfach, bevor ich sie mit einer Freundin teile. In der letzten Ausgabe hat mich besonders das Zwiegespräch über "Sterbehilfe" angesprochen, mich zur eigenen Stellungnahme herausgefordert. So geht es mir oft bei einzelnen Artikeln - das finde ich sehr gut. So treffen Ursula Otts "Ansagen" sehr oft ins Schwarze - für mich.
Herzlichen Dank dem Redaktionsteam für die gründliche und intensive Arbeit!
Mit herzlichem Gruß, Renate Löffler.