Katja S.*, 54:
Ich ahnte eigentlich schon sieben Jahre nach unserer Hochzeit, dass mein Mann schwul ist, als ich auf der Telefonrechnung Nummern eindeutiger Hotlines entdeckte. Als ich ihn darauf ansprach, redete er sich raus. Ich glaubte ihm. Weil ich nicht wollte, dass es stimmt. Wir lebten mit unseren Kindern in einer frommen, sehr konservativen Gemeinde und waren dort sehr aktiv.
Dann kam der Tag, an dem ich nicht mehr leugnen konnte, was ich so lange schon verdrängte: Mein Mann verwechselte einen persönlichen Chat mit unserem Familienchat. Er betrog mich seit Jahren mit einem Freund der Familie.
Ich verfiel in eine Schockstarre. Mit meinem Mann über den Betrug reden? Das konnte ich nicht. Wir tauschten über mehrere Wochen E-Mails aus. Aber in den Briefen waren wir so ehrlich zueinander wie noch nie. Er schrieb mir, dass er bei unserer Hochzeit nicht realisierte, schwul zu sein. Auch, weil er fromm aufgewachsen war und das Thema tabuisiert wurde.
Ich hielt verzweifelt an unserer Ehe fest
Damals versuchte ich, meinen Mann zu verstehen, und hielt verzweifelt an unserer Ehe fest. Denn ich wurde in dem Glauben erzogen, dass eine Ehe nicht kaputtgehen darf. Ich wollte nicht von anderen den Stempel "gescheitert" aufgedrückt bekommen. Das Schlimmste war für mich das Schamgefühl: dass ich als Frau nicht genug bin für meinen Mann. Und ich schämte mich, dass ich selbst so viele Leute verurteilt hatte, deren Beziehung in die Brüche ging, ohne dass ich wirklich danach gefragt hatte, was zu der Trennung geführt hatte.
Wenn ich Nachbarn oder Freunde traf, gab ich vor, dass alles in bester Ordnung sei. Sechs Monate lang. Bis zu einem Abendspaziergang mit einer Freundin. Wir redeten erst über Belangloses, dann fragte sie mich: "Und wie geht es DIR?" Das genügte, dass ich in Tränen ausbrach und zugab, was passiert war. Ich brauchte gar nichts weiter zu erklären, weil meine Freundin dank ihrer Menschenkenntnis schon lange wusste, was bei uns los war, das Thema aber von sich aus nie angesprochen hatte. Danach ging bei mir nichts mehr, ich hatte mir zu viel abverlangt, ich rutschte in eine fette Depression.
Wenn es nach meinem Mann gegangen wäre, hätten wir einfach so weitergemacht. Er wollte beides: als Ehepaar in dem Haus wohnen und mit seinem Partner zusammen sein. Aber ich konnte und wollte nicht mehr in einer Lüge weiterleben. Ich traf eine Entscheidung: Sobald die Kinder zum Studieren ausziehen, was noch ungefähr ein Jahr dauern würde, gehe ich zurück in meine 350 Kilometer entfernte Heimat. Ich erinnere mich noch gut: Ich fuhr gerade mit dem Auto nach Hause, als ich an einer Wiese vorbeikam, ausstieg und in der Sonne über das Gras rannte. Da wusste ich, dass ich das Richtige tat.
Mir wurde klar: Eine Ehe darf zerbrechen
Zwölf Monate später saß ich im Umzugswagen. Ich fühlte mich befreit. Aber es dauerte lange, bis ich mich nicht mehr schämte. Und mir wurde klar, dass Scheitern an sich nichts Schlechtes ist, sondern die Voraussetzung für einen Neuanfang. Und dass eine Ehe zerbrechen darf, dass meine Bedürfnisse genauso wichtig sind wie die meines Mannes.
Es half mir auch, dass ohne mein Zutun irgendwann das Gerücht über den Grund unserer Trennung die Runde machte. Ich brauchte mich nicht mehr zu verstecken. Viele Freunde und Bekannte sprachen mich auf die Homosexualität meines Mannes an und stellten mir Fragen. Mir war es ein Anliegen, dass sie nicht nur mich verstehen, was sie ausnahmslos taten, sondern dass sie auch Verständnis für meinen Mann entwickeln. Denn viele hatten Vorurteile, wie ich einst auch: dass man sich für seine sexuelle Orientierung entscheidet oder dass Homosexualität heilbar wäre. So ein Quatsch! Das weiß ich heute.
Inzwischen bin ich geschieden und Single. Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem Ex-Mann, meine Kinder aber schon. Er hat sich mittlerweile mit eindeutigen Fotos in den sozialen Netzwerken geoutet.
Ich bin in meinem neuen Leben angekommen, aber ich mache aus meiner Geschichte kein Geheimnis. Und ja, ich gebe zu, in so manch konservativen Kreisen nutze ich mein Co-Outing gerne, um zu irritieren: Leute, setzt euch bitte ohne eure frommen Scheuklappen mit dem Thema auseinander, damit es in Zukunft keine Fälle wie mich mehr gibt!
Protokoll: Bonnie Kruse
*Name von der Redaktion geändert.