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Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen davon wissen, dass ein Kind missbraucht wird. Und wie viele untätig bleiben. In diesem Buch berichtet Jasmina El Boujavenir vom Missbrauch durch ihren Vater, einen Onkel und weitere Verwandte bzw. Bekannte. Davon wusste eine ganze Reihe von Verwandten, zum Beispiel die Frau des Onkels, sie war sogar Zeugin geworden. Es wusste aber auch die Mutter - die allerdings fast immer ohnmächtig blieb, da auch sie als Kind von diesem Onkel missbraucht worden war.
Die Grundschullehrerin hätte zumindest eine Ahnung haben können. Stattdessen hielt sie das intelligente Mädchen, weil es so stumm war und so geistesabwesend, für beschränkt und höchstens für die Sonderschule tauglich.
Und das Kind, warum suchte es keine Hilfe? Weil es klein war, sich an das Redeverbot der Erwachsenen gebunden sah und vor allem sich schuldig fühlte daran, dass Männer es vergewaltigten. Wie soll man sich da anderen Menschen anvertrauen?
"Wenn Du die Vermutung hast, dass in Deinem Umfeld ein Kind missbraucht oder misshandelt wird, so schau nicht weg", schreibt die Autorin in ihrem Buch. "Allein schon ein freundlicher Blick signalisiert dem Kind: Da interessiert sich jemand. Glaube mir, das Kind wird den Weg zu Dir suchen, denn es braucht Deine Hilfe. Viele Kinder signalisieren, dass sie Hilfe brauchen, indem sie scheinbar zufällig in der Nähe rumstehen oder durch ein gemaltes Bild oder eine verschlüsselte Botschaft."
Nur, wie hilft man, wenn man einen Verdacht hat? Man ruft beim "Hilfetelefon Sexueller Missbrauch" an und sortiert mit der Beraterin die eigenen Eindrücke und das möglicherweise notwendige weitere Vorgehen. Diese Beratung ist kostenlos und anonym und extra auch für Menschen gedacht, die einen Verdacht oder auch nur "ein komisches Gefühl" haben.
Als Erwachsene zeigte Jasmina ihren Vater und ihren Onkel an. Sie wurden verurteilt. Und obwohl Jasmina unter der Gewalt eine gespaltene Persönlichkeit (dissoziative Persönlichkeitsstörung) entwickelt hatte (das Furchtbarste erlebte sozusagen ein anderes Kind), wurden ihre Aussagen vom Gericht für glaubhaft gehalten. Das verdankte sie dem Gutachter Professor Dr. Reinmar du Bois, dem damaligen Ärztlichen Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Olgahospitals Stuttgart.
Vielleicht sollte man noch dazusagen: Man muss als Leserin keine Angst vor diesem Buch haben. Die Autorin nimmt einen an die Hand, sie ordnet ihre Erlebnisse ein, lässt die Leserin nicht allein.
Jasmina El Boujavenir: Mein Haus für die verlorenen Seelen. Gegen das Totschweigen, Civitas-Imperii-Verlag, Esslingen 2014, 300 S., ISBN 978-3-939300-29-8, 15.- , im Buchhandel oder direkt beim Verlag, info@civ-buch.de, zu bestellen.