Kontroverse und Kräuterkäse
Im Rheinland haben sich im Rahmen von "Deutschland spricht" zwei Menschen getroffen, die sich durchuas gegenseitig zum Nachdenken gebracht haben.
Tim Wegner
27.09.2018

Ein idyllisches Dorf am Rande von Bonn. Die Spätsommersonne beleuchtet golden  die abgeernteten Felder, Sonnenblumen und Kürbisse werden am Wegesrand verkauft. Schön ist es hier, gastfreundlich das Haus von Familie Klotz. Caspar, Melchior und Balthasar waren offenbar schon mehrfach da und haben an der Eingangstür ihre Kreidestriche hinterlassen. Frau Klotz, 55, Erzieherin und ehrenamtliche Hospizhelferin, hat Brot, Kräuterkäse und Orangensaft besorgt für ihren Gesprächspartner von "Deutschland spricht". Es ist der Psychiater und Bestsellerautor Manfred Lütz, 64, sie kennt ihn aus dem Fernsehen und ist gespannt. Zwei Fragen haben die beiden unterschiedlich beantwortet. Hatte die #MeToo-Debatte was Gutes? Nein, sagt Frau Klotz – ja, sagt Herr Lütz. Können Muslime und Nichtmuslime gut zusammenleben? Nein, sagt Frau Klotz – ja, sagt Herr Lütz.

Können Muslime und Nichtmuslime gut zusammenleben? Nein, sagt Frau Klotz – ja, sagt Herr Lütz

Bei #MeToo sind die beiden in Wahrheit nicht so weit auseinander. Frau Klotz sorgt sich zum Beispiel um das Schicksal von osteuropäischen Prostituierten – um die es in der #MeToo-Debatte von Schauspielerinnen selten geht. Da ist sie sich einig mit Herrn Lütz, der dennoch findet: Es hatte was Gutes, dass die "Besetzungscouch" am Theater endlich thematisiert wurde. Und jetzt vielleicht ausrangiert wird. Aber beide Gesprächspartner haben Töchter, auf die sie stolz sind – beide haben in der Frauenfrage nicht wirklich den großen Dissens.

"Aber mein Stammhirn ist sauer"

Eher merkt man beim Zusammenleben mit muslimischen Flüchtlingen: Herr Lütz und Frau Klotz bewegen sich in unterschiedlichen Welten. Und das ist wertvoll für diese Begegnung. Herr Lütz, erfolgreicher Buchautor, Chefarzt und Vortragsreisender, freut sich, wenn er nach Hause in sein Dorf Bornheim kommt, wo inzwischen 40 Geflüchtete wohnen. "Noch nie war so viel Wärme und Lächeln in unserem Dorf, alle machen was, und an Silvester laden wir die Flüchtlinge ein und kochen." Bei Frau Klotz klingt es anders. "Unsere Ehrenamtlichen im Dorf haben ganz viele Fahrräder aufgearbeitet für die Flüchtlinge. Dann ging eins kaputt, und sie wollten gleich ein neues." Die Tochter ist Ärztin, sie erlebte muslimische Männer, die nicht mit ihr sprechen wollten, sie wollten einen männlichen Arzt. Einer Frau wollten sie noch nicht mal die Hand geben. Da läuft der Psychiater zur Hochform auf. ""Wir hatten eine syrische Familie im Haus aufgenommen und da hat die sehr nette Ehefrau mir nie die Hand gegeben. Da sagt mein Großhirn: Die Frau ist traumatisiert und klammert sich an ihre Tradition. Aber mein Stammhirn ist sauer."

Die Geflüchteten sind doch jetzt hier

Großhirn. Stammhirn. Ganz so differenziert, findet Frau Klotz, nehmen wir im Alltag unsere Mitmenschen nicht wahr. Sie berichtet, wie sie als Redakteurin des Gemeindebriefes die Frage stellt: Wie lange brauchen wir die Flüchlingsseite noch mit dem Wort "Flüchtling"? Gibt es nicht eine andere sprachliche Form, um in unserem Gemeindeheft über das Leben mit den Menschen, die vor drei Jahren hier ankamen, zu berichten? Herr Lütz glaubt: Die Flüchtlings-Seite werden sie immer brauchen. Frau Klotz findet: Die Geflüchteten sind doch jetzt hier, warum stellen wir sie immer in diese Sonderecke? Guter Punkt. Da muss Herr Lütz drüber nachdenken. "Vielleicht hatten Sie in Ihrem Dorf eine Überdosis Flüchtlingsarbeit", diagnostiziert der Doktor, "dann sollte man das langsam ausschleichen wie bei jeder Arznei."

Zwei Stunden sind um, Brot und Käse gegessen und Herr Lütz muss heute abend noch einen Vortrag in Aachen halten. Frau Klotz gibt ihm den Gemeindebrief mit, darüber will er nochmal nachdenken. Her Lütz gibt ihr sein aktuelles Buch, das will sie lesen und signiert bekommen. Es war ein gutes Gespräch. "Ich rede gerne mit Menschen, die anderer Meinung sind", sagt Herr Lütz, und Frau Klotz pflichtet ihm bei: "Es muss viel mehr solche Dialoge in unserem Land geben."

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