Was man in Deutschland Konferenz nennen würde, ist in den USA ein Festival. Etwa 2000 Theologen und Theologinnen treffen sich einmal im Jahr zum "Festival of Homiletics" (Festival der Predigtlehre). Dieses Jahr fand es in meiner Stadt Washington D. C. zum Thema "Predigen und Politik" statt. Dass man politisch predigen muss, war für die Referenten und Referentinnen keine Frage. Sie gehörten alle zu liberalen Mainline-Kirchen und plädierten leidenschaftlich für prophetische Kanzelreden. In Zeiten von Trump müsse man Klartext reden, meinen sie. Tatsächlich predigen Pfarrer zunehmend unpolitisch, selbst in meiner Kirche, der United Church of Christ, ziehen sich viele ins rein Spirituelle zurück.
Cordula Schmid-Wassmuth
Cynthia Hale, Gründerin einer Mega-Church bei Atlanta, forderte uns während ihres Vortrags auf, aufzustehen und dem Banknachbarn ins Gesicht zu sagen: "Ich bin ein Prophet!" Weil wir zu leise sprachen, mussten wir es wiederholen. "Seid leidenschaftlich und frech", ermutigte die charismatische Afroamerikanerin uns. "Das Evangelium zu verkünden ist gefährlich, war es schon immer. Aber unsere Aufgabe ist es, Hoffnung weiterzugeben." Dabei lief sie durch den Mittelgang, mal brüllte sie, mal flüsterte sie, stemmte ihre Hände in die Seite. Vor sechs Jahren noch hätte mich diese Art des Vortrags den Kopf schütteln lassen. Heute lasse ich mich mitreißen und bewundere die Stimmigkeit von hitziger Rede und brandheißem Inhalt.
Auch in den anderen Vorträgen und Predigten wurde viel Persönliches erzählt, gelacht, geweint und gebetet. In einem Gottesdienst lasen wir eine Selbstverpflichtung. 500 amerikanische Kolleginnen und Kollegen um mich, die sich im Brustton der Überzeugung dazu bekannten, soziale und politische Missstände in Zukunft mutig offen anzusprechen – das war ganz schön beeindruckend. An einem Abend trifft man sich immer zu "Bier und Chorälen" und singt miteinander. Das "Festival of Homiletics" ist mehr Kirchentag als Konferenz.