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Mal was ganz anderes. Das Reformationsjubiläum bescherte mir überraschende Gespräche ausgerechnet über den Kirchenvater Augustin. Obwohl noch einmal 1000 Jahre älter als Luther, der von uns ja schon 500 Jahre entfernt ist, beschäftigt Augustin einige Zeitgenossen immer noch und reizt sie zum Widerspruch. Vor allem wegen seiner Sündenlehre. So hatte ich im Sommer eine intensive, schöne Diskussion mit dem Schriftsteller Friedrich Christian Delius darüber, ob man Augustins Idee der Erbsünde nicht endlich zu den Akten legen sollte. In einem kleinen Essay hatte er dies gefordert. Die Vorstellung, dass der Mensch im Moment seiner Zeugung wie mit einem metaphysischen Aids-Virus infiziert werde und auf Ewigkeit zum Böse-Sein verdammt sei – das wäre doch barbarisch und Ursprung einer schrecklichen Schuld-und-Scham-Unkultur (auch im Protestantismus). Oder steckt in diesem Sündenbegriff nicht doch auch eine Ahnung von der Abgründigkeit der menschlichen Seele, die man nicht leichtfertig verdrängen sollte?
Gott als Sklavenhalter
Nun las ich in der (inhaltlich) schönsten und (vom Layout her) hässlichsten Zeitschrift der Welt – „New York Review of Books“ – einen Aufsatz, der mir die Zwiespältigkeit dieses theologischen Ahnherrn neu vor Augen führte. Der Historiker Peter Brown stellte eine neue englische Übersetzung von Augustins „Bekenntnissen“ vor. Als besondere Leistung stellte er heraus, dass die Übersetzerin Sarah Ruden die augustinische Gottesanrede „Dominus“ nicht wie üblich mit „Lord“, also „Herr“, wiedergegeben hat, sondern mit „Master“, also dem Wort, mit dem Sklaven ihre Besitzer und Meister ansprachen. Für uns heute klingt das skandalös: sich Gott als Sklavenhalter vorzustellen und sich selbst als Sklaven Gottes. Doch Brown gibt zu bedenken, dass der Ewige dadurch für Augustins Leser, für die Sklaverei eine konkrete Normalität war, sehr viel alltagsnäher und nicht mehr so metaphysisch-entfernt gewirkt haben muss. Befremdlich bleibt es dennoch, aber auch anregend.
Der Bischof als Sklavenhelfer
Dann aber berichtet Brown von einem vor wenigen Jahren entdeckten Brief, den Augustin 428 nach Christus, also dreißig Jahre nach seinen „Bekenntnissen“, geschrieben hat. Damals war er schon ein alter Mann und seit langem Bischof im nordafrikanischen Hippo (im heutigen Algerien). Leidenschaftlich kämpfte er gegen den Sklavenhandelt in seiner Stadt. Der Hafen von Hippo diente nämlich als Umschlagplatz für Menschen, die im Landesinneren geraubt worden waren und nach Europa verschiffte wurden. In Italien und Gallien wurden sie an Gutsherren verkauft, die nach den Angriffen der Barbaren ihre Arbeitsheere wieder aufstockten. Die Kirche hatte schon 130 dieser Unglücklichen freigekauft, doch war Augustin deswegen – wegen Diebstahls – von Sklavenhändlern angeklagt worden. In seinem Brief nun an einen Freund in Rom berichtete er von diesem „Unheil Afrikas“, erzählte von seinen Gesprächen mit den Opfern und bat um rechtlichen Rat. Auch wenn es ihn selbst an den Rand seiner Kräfte, ihn sogar selbst in Gefahr brachte, war der Kampf gegen den Sklavenhandel für Augustin eine selbstverständliche Folge seines Glaubens an seinen „Master“. Das hatte ich nicht gewusst. Mit Augustin wird man eben so schnell nicht fertig.