Kamla Bashin. Indien. Himachal Pradesh. 16.05.2014
Kamla Bashin. Indien. Himachal Pradesh. 16.05.2014
Florian Lang / Brot für die Welt
Was wir wollen, ist eine weltweite Solidarität
Indische Frauen gelten als schwach und unterdrückt. Stimmt, sagt die Frauenrechtlerin Kamla Bhasin und verweist abr auch auf starke indische Frauen. Und ein Politiker wie Donald Trump zeigt: Auch im Westen regiert immer noch das Patriarchat.
Tim Wegner
27.10.2017

Frau Bhasin, in Westeuropa denken viele, die indischen Frauen seien meist unterdrückt, marginalisiert, würden häufig vergewaltigt. Doch wer nach Indien reist, trifft, gerade auch in den armen Landregionen, oft sehr starke Frauen…

Kamla Bhasin: Indien hat etwa 1,3 Milliarden Einwohner, über 600 Millionen von ihnen sind Frauen. Indien ist ein sehr vielfältiges Land, in allen Bereichen: Geografie, Ausbildung, Religionen usw. Was ich sagen will: Man kann nicht generell über „die“ indische Frau sprechen. Es gibt sehr starke Inderinnen: in der Politik, in den Gewerkschaften, in der Wissenschaft und in der Bildung. Auf der anderen Seite gibt es unzählige Frauen, die weder lesen noch schreiben können und in völliger Abhängigkeit von ihren Männern leben. Beide Vorstellungen stimmen.

2012 gab es in Delhi eine schrecklichen Gruppenvergewaltigung, seither gilt Delhi oft als Hauptstadt der Gewalt gegen Frauen. Ist die Stadt für Frauen gefährlicher als New York, Paris oder Berlin?

In der Tat gibt es in Indien sehr viel Gewalt gegen Frauen und es gibt keine Entschuldigung dafür. Auf der anderen Seite ist Indien aber auch kein Einzelfall. Ein entscheidender Unterschied zwischen einigen Ländern im Westen und Indien ist, dass der Widerstand hier in den letzten Jahren gewachsen ist. Bei uns gibt es in den Medien eine große Aufmerksamkeit für das Thema. Das sehe ich in westlichen Medien so nicht, die schreiben das oft herunter. In den USA gibt es seit über 200 Jahren Demokratie und wirklich gute Gesetze, aber eine Frau wird nicht zur Präsidentin gewählt und es gibt immer noch viele Vergewaltigungen, zwischen Männern und Frauen existieren Gehaltsunterschiede von 20 Prozent... All das zeigt: Das patriarchalische System ist immer noch tief verwurzelt, und zwar in allen Ländern der Welt. Was wir wollen, ist eine globale feministische Solidarität.

"Ich halte die Frauenbewegung in Südasien momentan für stärker als in Westeuropa"

Mit dem Frauennetzwerk „Sangat“ gibt es in Südasien eine einflussreiche Verbindung starker Frauen über viele Ländergrenzen hinweg. Gibt es für westliche Frauen etwas Vergleichbares?

In der Tat halte ich die Frauenbewegung in Südasien momentan für stärker als in Westeuropa. Hier bei uns gibt es Tausende von Gender-Organisationen, große, kleine, auf dem Land oder in der Stadt. Es gibt unzählige Kampagnen im Bereich Gewalt gegen Frauen oder im Kampf gegen Frauenarmut und generell gegen Genderungerechtigkeit. In den letzten Jahren gibt es auch Männergruppen, die gegen die patriarchalischen Systeme in südasiatischen Ländern ankämpfen. Ein Beispiel ist die Aktion „One Billion Rising“, die auch in Deutschland sehr aktiv ist: Hunderte von Demonstrationen gibt es dazu jedes Jahr. In Delhi und Dhaka haben letztes Jahr Tausende von Frauen, Männern und Kindern teilgenommen. All dies wird lokal organisiert. Feministische Gruppen sind in den Sozialen Medien sehr aktiv. Und was mich freut: Durch die Wahl von Mister Trump sind die feministischen Organisationen in den USA wieder erstarkt.

Sind Sie zufrieden damit, was Sie als Feministin mittlerweile erkämpft haben?

Meine Antwort ist Ja und Nein. In vielen Ländern sind Männer und Frauen in den Verfassungsrechten gleichgestellt, Frauen sind weltweit in Führungspositionen und es gibt eine weltweite Aufmerksamkeit für das Genderthema. Auch viele Männer bezeichnen sich mittlerweile gern als Feministen. Das sind große Erfolge. Allerdings: Es gibt auch Gegenkräfte. Zum einen ist da, so nenne ich es, der patriarchalische Kapitalismus: Pornografie, vor allem Kinderpornografie, ist eine Milliardenindustrie, ebenso wie der Frauenhandel; die Kosmetikindustrie, die Frauen als Objekte sieht und ebenfalls Milliarden umsetzt; die Spielzeugindustrie, die Gewehre für Jungs und Barbie-Puppen für Mädchen produziert. Und es gibt die Medien, in denen immer noch die alten Patriarchen dominieren. All diese Kräfte schwächen uns – immer wieder und immer noch. Eine weitere Gegenkraft ist der überall stärker werdende religiöse Fundamentalismus: ob bei Christen, den Muslimen, den Hindus oder im Buddhismus. Und es gibt das Wiederstarken rechter Kräfte, die schon immer gegen den Feminismus waren. Donald Trump ist dafür das wohl deutlichste Beispiel. Mein Fazit heißt daher: Wir dürfen uns – ganz egal, in welchem Land wir als Feministinnen leben – nicht ausruhen, sondern müssen weiter weltweit für die Gleichberechtigung kämpfen. Und genau das machen wir auch.

 

 

 

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Frauenbilder/ Männerbilder

We should be all feminists, Chiara Ferragni
PARIS, FRANCE - JANUARY 23: Chiara Ferragni wears sunglasses, a black blazer jacket, a white t-shirt with the inscriptions " We should all be Feminists", a black meshed dress, black heels, and attends the Christian Dior Haute Couture Spring Summer 2017 show as part of Paris Fashion Week, at the Rodin museum, on January 23, 2017 in Paris, France. (Photo by Edward Berthelot/Getty Images)
Edward Berthelot/Getty

"We should all be feminists" – das steht auf einem Shirt des französischen Luxuslabels Dior, mit dem Models und Schauspielerinnen sich gerade gerne zeigen. Für Leute, die nicht schlappe 550 Euro ausgeben wollen für ein einfaches Shirt, gibt es auch günstigere Varianten. Ist halt hip gerade, Feminismus ist plötzlich Mainstream. Aber welchen Feminismus brauchen wir denn nun, haben wir die Feministin Margarete Stokowski im Doppelinterview mit Konstantin Wecker gefragt. "Wir brauchen den nicht", sagte sie, "wir machen den." Also bitte: lauter Texte übers Machen. 

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