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Sie schreien wie am Spieß
Bei Rückführungen geraten viele geflüchtete Menschen in verzweifelte Panik. Oft passiert das im Urlaubsflieger
21.03.2017

Es ist noch dunkle Nacht, als wir in London in den Flieger steigen, nach Berlin mit Norwegian Airline. Um 5.50 Uhr soll ́s losgehen. Ich sitze in der drittletzten Reihe, mein Mann eine dahinter, die letzte Reihe ist leer. Es sind noch 15 Minuten bis zum Abflug, da kommt ein Mitarbeiter vom Homeoffice, dem britischen Innenministerium, herein, er zückt seine Plakette: „Guten Morgen. Wir transportieren zwei illegale Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Sie werden sich wehren und sehr viel Lärm machen, sich erfahrungsgemäß aber kurz nach Abflug beruhigen.“ Mir rutscht das Herz in die Hose. Die Gesichter um mich herum werden bleich.

Fünf Minuten später werden zwei Männer ins Flugzeug geführt. Drei starke Begleitpersonen schleppen, hieven, zwingen sie zur letzten Reihe. Die beiden schreien wie am Spieß: „Please people, help! Me no go Germany, please, help!“ Sie werden in zwei Sitze gedrückt und festgezurrt. Meine Knie sind weich, ich kann meinen Herzschlag durch den Pullover sehen. Die junge Frau neben mir bricht in Tränen aus. Ob die Männer in ihre Heimatländer zurückgebracht werden, frage ich den Mann vom Homeoffice. „Nein“, sagt er, „sie sind in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt, dort sind sie frei.“

Easy Jet scheut die Rüchführungen. Zu viele Reklamationen

Warum ihnen das so Angst macht, kann ich nur erahnen. Großbritannien ist bekannt dafür, dass Flüchtlinge leichter Arbeit finden. Dafür nimmt das Land extrem wenige auf. Vielleicht haben die Männer auch einfach Verwandte, bei denen sie bleiben wollen. Der Kapitän kommt und fragt, ob wir Kaffee oder Tee wollen, aufs Haus. „Wir wollen keinen Tee, wir wollen eine menschlichere Asylpolitik in Großbritannien“, sage ich hilflos. Der Kapitän zuckt nur mit den Schulten.

„Die Rückführungsflüge finden immer am frühen Morgen statt“, erzählt später einer der Begleitmänner. „Pro Woche werden 20 bis 30 solcher Häftlinge nach Deutschland gebracht.“ Er wirkt fast stolz. Er sei Soldat, war in vielen Krisengebieten. Jetzt mache er nur noch diesen Job, das sei „ein Kinderspiel“. Easy Jet mache übrigens keine Rückführungen mehr. Zu viele Reklamationen, unzufriedene Fluggäste. Beim Abflug hallen die Schreie durch das ganze Flugzeug. Als wir unsere Flughöhe erreicht haben, verstummen sie. Medikamentöses Ruhigstellen sei nicht erlaubt, sagt der Mann vom Homeoffice. Einzig Sicherheitsgurte und spezielle Handfesseln mit Metallknöpfen, die ins Handgelenk gedrückt werden können.

Wir landen in Berlin. Es ist gerade hell geworden. Die beiden Flüchtlinge werden als Erste aus dem Flugzeug geschleppt. Jetzt widerstandslos, in Handschellen. Als wir nach draußen kommen, stehen sie vor einem Kastenwagen, barfuß auf dem kalten Asphalt. Einer hat geschwollene und rote Handgelenke. Ihr Leben in Deutschland beginnt. Unser Urlaub auch.

 

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