Foto: Narongsak Yaisumlee/istockphoto
Ganz schön evangelisch, diese Katholiken!
Der Katholikentag freut sich auf das Reformationsjubiläum 2017
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
23.05.2016

Irgendwas scheint in dieser Kirche nicht zu stimmen. Drei katholische Jungs um die 14 tasten mit ihren Blicken den Chorraum der Leipziger Thomaskirche ab. „Der Tabernakel fehlt“, stellt einer der drei Jugendlichen schließlich fest, also der Schrank in katholischen Kirchen, in dem die geweihten Hostien aufbewahrt und angebetet werden. Die Unterhaltung stockt, bis einer vor seinen Füßen das Grab von Johann Sebastian Bach entdeckt. „Ist das vielleicht eine evangelische Kirche?“, dämmert es ihnen.

Fünf Monate sind es noch bis zum Beginn des Reformationsjubiläums. Und wenn die Jungs in Leipzig weiter auf Entdeckungstour gehen, werden sie nach vier Tagen viel gelernt haben. Leipzig steckt voller Hinweise auf die Geschichte der Reformation und der evangelischen Gegenwart. Insofern passt es gut zusammen, dass so kurz vor Beginn des Reformationsjubiläums 2017 der 100. deutsche Katholikentag gerade hier stattfindet. Viele Katholikentagsbesucher zeigen eine freudige Neugier, was dieses Reformationsjubiläum bringen mag. Die Besucherzahlen gerade bei Podien zum Thema Ökumene zeigen es deutlich. Und auch die in den evangelischen Kirchen.

Luther zu Füßen des Papstes

Die evangelische Nikolaikirche zum Beispiel war 1989 Ausgangspunkt großer Demonstrationen gegen den SED-Staat. Die Thomaskirche, an der Bach lange Jahre wirkte, ist bis heute ein europaweit ausstrahlendes Zentrum evangelischer Kirchenmusik, an der sich Katholiken und Protestanten gleichermaßen erfreuen.

Aber es gibt sie auch, die historischen Zeichen des Konfessionshasses. Im Innenhof eines alten Kaufhauses in der Katharinenstraße 11 ist ein ironisches Steinrelief aus dem Jahr 1635 in die Wand eingelassen. Es zeigt den Papst und den Kaiser, vor ihren Füßen liegt der Mönch Martin Luther, den sie meinen, unterworfen zu haben. Im albertinischen Sachsen wurde die Reformation erst vier Jahre später durch den neuen Regenten Heinrich der Fromme an Pfingsten 1539 mit einer Predigt Martin Luthers eingeführt. Das ironisch-böse Relief blieb hängen.

Die Leipziger disputieren gern

Ein anderes Symbol der Reformation fiel allerdings dem Wahnsinn der nationalsozialistischen Kriegspolitik zum Opfer. Das bronzene Denkmal Luthers und Philipp Melanchthons aus dem Jahr 1883 wurde als „Metallspende für den Führer“ 1943 eingeschmolzen.

Der Ort der Leipziger Disputation 1519, des großen Theologengesprächs zwischen dem Katholiken Johannes Eck und Martin Luther sowie seiner Anhänger existiert nicht mehr. Die Pleißenburg wurde 1897 abgerissen, an ihrer Stelle befindet sich nun das Neue Rathaus. Nach dem Disput betrachteten sich die katholische wie die evangelische Seite als Sieger. Luther hat den größeren Nutzen von diesem Disput gehabt, da die Gesprächsprotokolle breit publiziert wurden und so in viele Länder gelangten.

Das Ende der konfessionellen Feindbilder

Gibt es noch ökumenische Feindbilder wie die des steinernen Reliefs mit dem erniedrigten Reformator? Eine apokalyptische Gruppe verteilt in Leipzig hässlich gedruckte Pamphlete, die den Papst zum Antichristen erklären – sie haben auf der Tiara, der aus der Mode gekommenen goldenen Papstkrone, die Zahl 666 entdeckt.

Die kirchliche Realität ist eine ganz andere: Die Theologie der Reformatoren hat die evangelische und die katholische Kirche gravierend verändert. Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, kann nach einem Gang über die „Katholikentagsmeile“ mit ihren vielen Ständen offen bekunden: „Ich bin hier zuhause.“

Bedford-Strohm: Bitte keine Heldenverehrung!

Auf dem Großpodium „Martin Luther – heute von vielen neu entdeckt“ ging es darum, Luthers Bedeutung für heute auszuloten. Die Widersprüchlichkeit des Wittenberger Theologen ist deutlich genug, weshalb Bedford-Strohm rät, auf jede Form der Heldenverehrung zu verzichten. Er erwähnt dessen antijudaistische Ausfälle, seine mangelnde Distanz zum Hexenwahn. Aber das Positive hat eine unglaubliche Wirkung entfaltet. Luther war nicht nur Theologe und „Schulbuchautor“, sondern auch Politikberater und sozialpolitischer Gutachter. Die Häufigkeit, mit der ihn Karl Marx im Kapital zitiert, zeige das. Was die Papstkirche betrifft: „Der beleidigende Grundton von Luthers Attacken ist als Zeugnis einer glücklicherweise fernen Zeit zu sehen.“ Eine neue, eine heutige Reformation führe nicht zur Spaltung, sondern zur Einheit.

Eine Heldenverehrung komme 2017 gar nicht in Frage. Luther selbst habe versucht, den Kult um seine Person abzublocken. Bedford-Strohm zitiert aus einem Text des Reformators von 1522: Der bittet darum, „von seinem Namen zu schweigen“. Die Lehre stamme nicht von ihm, auch sei nicht er gekreuzigt worden. „Liebe Freunde, lasst uns Christen nennen.“

Lutherischer Konfessionalismus: ein Widerspruch in sich

So treffen sich Luthers Intention und die der Verantwortlichen für das Reformationsjubiläum 2017: die „leidenschaftliche Orientierung an Christus“. Lutherischer Konfessionalismus sei ein Widerspruch in sich, sagt der Ratsvorsitzende. „Wir freuen uns an der lutherischen Tradition, aber sie kann nie Selbstzweck sein. Der einzige Zweck kann nur sein, immer wieder auf Christus hinzuweisen.“

In Leipzig wird diese Botschaft wohl gehört werden. Dort, aber nicht nur dort, würden immer mehr Menschen gegenüber der Christusbotschaft gleichgültig. Was mit Luther für die Gegenwart zu fragen sei: „Strahlen wir als Kirche noch etwas von der Radikalität der Botschaft Jesu Christi aus?“ Radikal müsse auch die Liebe zur Welt sein.

"Ein Papst war schlimmer als der andere"

Ja, auch die katholische Kirche verdankt Luther und den anderen Reformatoren sehr viel. Dorothea Sattler, katholische Dogmatik-Professorin in Münster und eine der agilsten Ökumene-Fachleute in Deutschland, bestätigte Bedford-Strohm. Für sie ist es ein Indiz für die Katholizität Martin Luthers, dass er die Kirche wieder auf die Botschaft Christi zentriert habe. Das sei ein Geschenk für die katholische Kirche. Luthers verbale Ausfälle gegenüber dem Papst seien überholt: „Martin Luther hat viele Päpste erlebt, und einer war schlimmer als der andere“. Es mache keinen Sinn, Luther etwas vorzuwerfen, von dem auch die katholische Kirche nicht frei war: Antisemitismus, moralischer Rigorismus, mangelnde sozialethische Sensibilität.

Auch nach dem Reformationsjubiläum 2017 wird Martin Luther im alten, steinernen Relief in der Katharinenstraße noch wie ein hilfloser Wurm zu Füßen von Papst und Landesherren kriechen. Nur weiß heute jeder, wie radikal die Veränderungen auf allen Seiten gewesen sind.

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