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Ich weiß jetzt immer, auf welcher Meereshöhe ich unterwegs bin. Und wie das Wetter morgen in Königstein sein wird, in Itzehoe oder in Bruchsal, weiß ich auch. Die tastenden Smartphone-Gegenüber in der S-Bahn wissen wahrscheinlich noch viel mehr. Zum Beispiel die aktuelle Wassertemperatur an der nördlichen Adria, die Stauprognose für die Autobahn über den Brenner oder die Standorte der Blitzer entlang der Reiseroute. Das hat mir die junge Frau freudestrahlend mitgeteilt, die mir gestern auf dem Weg ins Büro gegenübersaß.
„Wir fahren morgen in Urlaub. Richtung Rimini! Adria!“ An den Teutonengrill. „Grill? Sie wollen mich wohl veräppeln!“ Nein, so nannte man früher diesen Lieblingsstrand der Deutschen. Apropos „veräppeln“ – gibt’s dafür auch schon eine App?
Die technologische Revolution des „Immer-und-überall-Bescheid-Wissens“ hat in mir einen bekennenden Gegner. Ich halte es lieber mit dem österreichischen Kabarettisten Gerhard Bronner, der in seinem Motorradsong „Der Halbwilde“ schrieb: „Ich hab keine Ahnung, wo ich hinfahr, dafür bin ich aber geschwinder dort!“ Eine Urlaubsreise der Nase nach: Wo es gut riecht, ist das Paradies. Und wenn es anders ist, dann hat man wenigstens etwas zu erzählen: Stell’ dir vor, wir waren in der Provence, und es war wirklich provinziell!
Die andere Version, wirft mein Gegenüber ein, könne aber auch interessant sein: „Im Gegensatz zur Info meiner Wetter-App regnete es an der Dordogne in Strömen. Dafür waren aber die Trüffel wesentlich preiswerter als auf ‚fine food online‘.“ Okay, okay, der alte Mann lernt. Selbst die App-Generation weiß, dass sie durch die Nutzung der elektronischen Informationen nicht
allwissend wird, sondern lediglich eine neue Ebene für Überraschungen erreicht. Und das Unerwartete ist schließlich das geheime Ziel jeder Reise. App-Laus!
Nein, widerspricht die Bahnnachbarin, ihr gehe es in den Ferien darum zu entspannen. Und dies gelinge am besten, wenn sich das erhoffte Gute bestätige und manches sogar noch besser oder schöner sei, als man erwartet habe. Sie hält kurz inne, streicht die blonden Haare glatt. Dann steigt sie auf in die Sphäre der Lebensphilosophie: Was sie da gerade gesagt habe, sei ja banal. Denn es gelte ja für alles, nicht nur für den Urlaub. „Auch in meiner neuen Beziehung wünsche ich mir die Bestätigung des Guten und darüber hinaus positive Überraschungen.“ Ich finde das gar nicht banal. Es ist die Substanz menschlichen Seins, wie sie der Apostel Paulus im Korintherbrief in den drei Worten Glaube, Hoffnung, Liebe umriss. Ich liebe es, wenn sich meine Hoffnungen erfüllen, und glaube, dass es noch besser wird.
Wer bei Trost ist, hofft auf das Unmögliche
Meine Gesprächspartnerin schaut auf die Uhr: „Mist, wir haben Verspätung. Ich habe gleich ein Meeting. Meine Kollegen werden ganz schön stinkig, wenn jemand unpünktlich ist.“ Ich versuche, sie zu trösten: Vielleicht ist ja das ganze S-Bahn-Netz betroffen, und die Autofahrer stehen in Staus. „Hoffen wir es“, lächelt sie ungläubig zurück, „ich habe es schon an meiner Oma geliebt, wenn sie versucht hat, mich mit solchen Sätzen aufzumuntern.“ Noch zwei Stationen, dann muss sie aussteigen.
Sie bittet mich um Nachsicht, dass sie sich jetzt nicht länger mit mir unterhalten kann. Sie wolle wenigstens noch mal kurz in die Unterlagen gucken, um gleich „voll in der Tagesordnung zu sein“. Als sie ihr Tablet aus der Tasche zaubert und on-klickt, erscheinen auf ihrer Stirn Runzeln der Überraschung, und ihre Mundwinkeln zucken – sie grinst erleichtert. „Aus! Fällt aus!“ Sie atmet auf. „Gerade eine WhatsApp-Nachricht bekommen. Chef muss seine Frau abholen, weil ihr Zug ausfällt. Meeting wird verschoben.“
Freunde. Freundinnen. Freundschaft
„Freunde. Freundinnen. Freundschaft.“ Ein Lesebuch. Herausgegeben von Arnd Brummer. Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).