Amaniel Petros Habte sollte zum Militär – für zehn oder zwanzig Jahre, wer weiß das schon so genau in Eritrea. Und das, nachdem sein Vater als Regimegegner getötet und seine Mutter mit den jüngeren Geschwistern geflüchtet war, während er selbst krank bei der Großmutter zurück blieb. Deshalb floh nun auch er, erst einmal in den Sudan, dann nach Europa. In Ungarn landete er in einem überfüllten Flüchtlingslager mit furchtbaren Verhältnissen, dort bekam er auch von rechten Skinheads einen Zahn ausgeschlagen. Nach sechs Monaten ging es nach Deutschland. Weil aber ein ungarisches Visum in seinem Pass war, sollte es umgehend wieder zurückgehen. "Ich bin ein Dublin-Fall" sagt Petros. Er aber wollte gerne in Deutschland bleiben. In der Kirchengemeinde am Bügel in Frankfurt bekam er Kirchenasyl. Nach sechs Monaten begann sein Asylverfahren, er hat gute Aussichten, in Deutschland bleiben zu dürfen. "Die Zeit im Kirchenasyl war meine beste Zeit in Europa" sagt Petros noch, "immer, wenn ich den Geruch meines Landes vermisst habe, habe ich dort ein bisschen so etwas wie Familie erfahren."
###mehr-extern### Ein Einzelfall. Einer wie zurzeit 460 Menschen, die sich in 251 Kirchenasylen aufhalten. Und die zu 95 Prozent Erfolg haben, also ein (neues) Asylverfahren bekommen. Oft mit Bleiberecht am Ende, weil es zuvor einen Rechtsirrtum irgendeiner Art gab. Das macht Dietlind Jochims, die Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gleich zu Beginn auf dem Podium klar. "Letzte Zuflucht Kirchenasyl?" heißt die Veranstaltung. Für Jochims braucht es da kein Fragezeichen.
Widerstreit der Prinzipien
Für einen anderen auf dem Podium schon: Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat vor einigen Monaten eine scharfe Debatte losgetreten, weil er das Kirchenasyl offen als Rechtsbruch bezeichnet hat (chrismon berichtete). Für ihn stehen hier die beiden Prinzipien "Gleiches Recht für alle" und "Barmherzigkeit für den Einzelnen" im Widerspruch. Da wohnten auch in seiner Brust zwei Seelen, so der Minister. Ungehalten wird er allerdings den Kirchengemeinden gegenüber, die seiner Meinung nach "gut begründete Einzelfälle" nutzten, um Dublin II politisch zu bekämpfen.
Katrin Göring-Eckart, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und Ex-Präses der EKD-Synode widerspricht: Jeder einzelne Fall von Kirchenasyl, den sie kenne, sei existenziell gewesen – und keineswegs rein politisch motiviert. Und im Übrigen sei es ja auch gut so, wenn die Kirche sich politisch einmische. Immerhin hat die vor einem Monat tagende EKD-Synode gerade erst eine deutliche, Dublin-kritische Resolution zum Thema Flüchtlinge verfasst. Kirchenasyl sei kein Rechtsbruch, sondern verhelfe dem Recht zur Durchsetzung, so Göring-Eckart.
Ihr Podiumsnachbar allerdings liefert eine andere Definition: Kirchenasyl sei kein Rechtsinstitut im geltenden Recht, sondern faktisch "Ziviler Ungehorsam". Der aber sei schon vor 30 Jahren in der Demokratiedenkschrift der EKD als denkbar beschrieben worden, wenn schließlich auch die zugehörige Bestrafung akzeptiert werde. Prof. Dr. Hans Michael Heinig ist Verfassungs- und Kirchenrechtler und er warnt davor, dass die Kirche sich anmaße, kontinuierlich Rechtsirrtümer des Staates zu korrigieren, denn dann müsse sie auch noch auf etlichen anderen Feldern tätig werden.
Doch genau dies ist für Weihbischof Dieter Geerlings, den stellvertretenden Vorsitzenden der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, die Aufgabe, auch von Kirche: Rechtliche Grauzonen in einem sozialen Rechtsstaat deutlich zu machen, damit sie korrigiert werden können. Für ihn braucht Deutschland schon längst ein Einwanderungsministerium neben dem Innenministerium.
Kirchenasyl auf dem Weg zu einer gesamteuropäischen Flüchtlingspolitik
In einer Sache allerdings sind sich alle auf dem Podium einig: Die unterschiedlichen Standards im Umgang mit Flüchtlingen in Europa sind nicht hinnehmbar. Und, auch der Bundesinnenminister konstatiert: Dublin II funktioniert nicht. Deshalb würde jetzt über Verteilungs-Quoten, Verfahren und Kriterien diskutiert in Europa. Jurist Heinig ist zum Beispiel auch für eine gemeinsame Finanzierung der Migration, wie sie der zuständige Sachverständigenrat vorschlägt. Doch das alles kann dauern, wenn es überhaupt mehrheitsfähig ist. Göring-Eckart fordert deshalb eine aufschiebende Rechtspraxis, bis das soweit ist – genau das leisten Kirchenasyle zurzeit auch.
In der Diskussion mit dem Publikum wird es dann abermals deutlich: Nur durch das Kirchenasyl ist es zu Einrichtungen wie den Härtefallkommissionen gekommen. Schließlich könne nun der Einzelfall überprüft und gegebenenfalls revidiert werden. Und dann der vielleicht spannendste Einwurf aus den Reihen der Kirchentagsbesucher: Welcher Mensch ist eigentlich kein Einzelfall?!