Sie beschneidet nicht mehr
Sie beschneidet nicht mehr. Aber jetzt fehlt Kadiatu Fofanah aus Sierra Leone der Verdienst. Und manche Nachbarinnen verfluchen sie
07.10.2010

Meine Rasierklingen brauche ich nicht mehr. Wenn der Tag meines öffentlichen Gelübdes kommt, werde ich sie abgeben und schwören, nie mehr ein Mädchen an der Klitoris zu beschneiden. Das ganze Dorf wird dabei zusehen. Wir reden jetzt über "diese Sache". Das war vor ein paar Jahren noch unmöglich. Keine Frau sagte, was bei einer Beschneidung passiert. Es hieß, unser Bauch würde sonst anschwellen und platzen. Aber niemandem ist etwas passiert. Ich habe keine Angst mehr zu sprechen.

Ich war vielleicht dreizehn Jahre alt, als ich Beschneiderin wurde. Für mich war das eine Chance, etwas zu lernen. Wir gingen ja nicht zur Schule. Und die Beschneiderinnen sind bei uns auch Hebammen und Heilerinnen. Zwei Jahre lebte ich bei meinen Ausbilderinnen im Busch. Ich lernte, wie man Heilkräuter verarbeitet, Magenkrämpfe behandelt, Kinder auf die Welt holt, tanzt. Und wie man die Rasierklingen benutzt.

Ich beherrschte mein Metier. Die Familien brachten ihre Töchter gern zu mir. Es gibt Beschneiderinnen, die sind alt und blind, oder sie betrinken sich während der Zeremonie, weil sie es sonst selbst nicht aushalten, und dann schneiden sie zu viel weg. Ich trinke keinen Alkohol. Ich habe immer mit klarem Kopf beschnitten, zwischen sechs und acht Uhr morgens, da konnte ich gut sehen.

Ich hatte kein Mitleid. Für uns ist der Schmerz eine Prüfung.

Wir können zeigen, dass wir stark und mutig sind. Wenn die Mädchen später Kinder bekommen, müssen sie auch die Schmerzen ertragen. Ich habe auch meine drei Töchter selbst beschnitten. Weil ich sie liebe. Erst durch die Beschneidung werden Mädchen zu richtigen Frauen, eine unbeschnittene Frau gilt als schmutzig und zügellos - so hat es uns die Tradition gelehrt, ich habe nie daran gezweifelt.

Auf einmal hieß es, unsere Tradition sei falsch

Bis zu dem Tag, als ein Mädchen bei der Initiation starb und ihre Beschneiderin verhaftet wurde. Ich hätte nie gedacht, dass wir dafür verantwortlich sind. Wir glaubten immer, wenn ein Mädchen starb, dass es von einem Dämon besessen war.

Auf einmal hieß es, unsere Tradition sei falsch. Junge Frauen von einer Organisation kamen in unser Dorf und erklärten uns, dass wir unsere Töchter verstümmeln, dass das schädlich für die Gesundheit ist. Sie zeigten uns das an einem aufklappbaren Frauenkörper aus Plastik. Dann sagte auch noch der Imam in der Moschee, dass wir Beschneiderinnen unwürdig sind, im Koran stehe nichts über Beschneidung. Ich war verwirrt. Hatte ich mein ganzes Leben an ein Trugbild geglaubt?

Ich betete fünf Mal am Tag, bis ich Schwielen an den Knien hatte, und bat Gott um Vergebung. Er hat mich erhört. Denn ich habe nicht nur etwas verloren, sondern auch etwas bekommen: Ich durfte mit anderen Beschneiderinnen ein paar Monate zur Schule gehen, das Kinderhilfswerk Plan International hat das bezahlt. Ichlernte, wie ich mehr ernten kann, wie ich das Saatgut reinige und saubere Ställe fürs Vieh baue. Aber vor allem lernten wir das ABC. Ich kann jetzt meinen Namen schreiben!

Ich habe seither kein Mädchen mehr beschnitten. Einige Frauen im Dorf akzeptieren mich nicht mehr, sie verfluchen mich. Aber Gott schützt mich. Nur weiß meine Familie jetzt nicht mehr, wovon sie leben soll. Ich konnte immer für alle sorgen und Reis und Saatgut kaufen, denn als Beschneiderin verdiente ich viel Geld. Jetzt verdienen wir nichts mehr. Unser Blechdach ist voller Löcher. In der Regenzeit sitzen wir mit Schirmen im Haus.

Ich warte auf den Tag, an dem ich mich öffentlich als Exbeschneiderin bekenne. Die Hilfsorganisation hat gesagt, dazu darf ich drei Jahre meinen Beruf nicht mehr ausgeübt haben. Dann werde ich meinen Namen unter einen Vertrag setzen, und vielleicht bekomme ich eine Ziege dafür. Oder einen Kredit. Mein Traum wäre es, Kleinvieh zu züchten und zu verkaufen. Ich brauche das Geld für meine Enkelin. Sie ist nicht beschnitten, und ich habe geschworen, dass ihr das niemals passieren wird. Aber sie hat nur eine Zukunft, wenn sie eine Ausbildung bekommt. e

Protokoll: Ariane Heimbach

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