- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Bewertung
Die Straße windet sich den Berg hinauf am Pfarramt vorbei. Vom Parkplatz aus geht es über den Friedhof mit Blick auf die Altstadt von Vellberg im Hohenloher Ländle, dann hinein in die spätmittelalterliche Martinskirche. 30 Leute haben sich um zehn Uhr auf die Bänke verteilt, die Glocken läuten. Und läuten.
Die Sonne erwärmt das alte Gemäuer gar nicht, man fröstelt. Da es noch immer läutet, schwäbeln einige mit ihren Banknachbarn. Der Kirchgänger bewundert die Deckenmalerei aus dem 16. Jahrhundert, den Altar aus der Riemenschneiderschule, den vergoldeten Orgelprospekt mit Flügeltüren.
Um 10.07 Uhr schreitet Pfarrer Volker Adler zum Altar und wartet stehend das Orgelvorspiel ab. „Wie findet ein Mensch seine Seligkeit?“, fragt er danach zur Gemeinde gewendet. Er antwortet mit dem Wochenspruch aus dem Epheserbrief: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben.“ Den großen Abstand vom Altar zur Gemeinde überbrückt Adler mühelos. Er wirkt sehr präsent, seine Stimme klingt angenehm – und die Mikroanlage funktioniert reibungslos.
Nach knapper Eingangsliturgie ist er auch schon bei der Predigt. Er spricht von Alltagsentscheidungen: Soll die Mutter ihre Kinder zu Sport und Musikunterricht kutschieren, oder soll sie deren Freizeitangebot reduzieren? Soll der Arbeitnehmer das Jobangebot im Ausland annehmen oder ablehnen? Soll der Kunde in den neuen Krankenkassentarif einwilligen oder nicht? Es folgt der Predigttext aus dem Lukasevangelium 14,25–33, wo Jesus seinen Jüngern abverlangt, die Verwandten und sich selbst zu verleugnen – sich und die Familie gar zu hassen, so stehe es in der Luther-Übersetzung.
„Tja“, endet Adler seine Bibellese und schweigt erst einmal. „Ob den Jüngern damals vor Schreck auch der Mund offen blieb? Das klingt radikal und fundamentalistisch.“ Und dann ringt er um eine Deutung. „Das Evangelium, wie ich es verstanden habe, konfrontiert uns mit der Frage nach dem Stellenwert meines Glaubens“, resümiert er schließlich. „Was ist mir mein Glaube wert? Amen.“
Dem Kirchgänger bleibt leider unklar, was das mit den eingangs genannten Alltagsentscheidungen zu tun hat. Und wie die Selbstverleugnung zum bejahenden und heilenden Jesus passt. Und: Soll sich jemand, der gar kein Selbstwertgefühl hat, auch verleugnen? Dafür ist umso sympatischer, dass der Pfarrer aus seinem eigenen Hadern mit dem Text keinen Hehl macht. Fürs nächste Choralvorspiel wählt die Organistin schräge Akkorde. Passt gut.
Zur Gemeinde
Evangelische Martinskirche Stöckenburg
Stöckenburgstraße 3
74541 Vellberg