Auf der Entbindungsstation des Dr. Jose Fabella Memorial Hospital in Manila drehen die Ventilatoren auf Hochtouren. 152 Mütter und ihre Babys liegen in dem turnhallengroßen Saal, oft teilen sich zwei Frauen und zwei Neugeborene ein Bett, kaum ein Säugling schreit. Die Fabella-Klinik ist die größte Entbindungsstation Südostasiens.
Die „Gebärfabrik der Philippinen“ wird sie genannt, rund 60 Kinder kommen hier pro Tag zur Welt, in Boomzeiten sind es um die hundert, 95 Prozent der Patienten sind arm. Die schwarzen Haare kleben feucht an den Säuglingsköpfen, erschöpft liegen die Mütter daneben. Maximal 24 Stunden dürfen sie nach der Entbindung in der Klinik bleiben. Dann heißt es zurück zu den übrigen Kindern, zurück in den Slum. Draußen am Eingang warten bereits die nächsten Schwangeren.
Rund 96 Millionen Menschen wohnen auf den Philippinen, der Inselstaat zählt zu den bevölkerungsreichsten Ländern Südostasiens, die Bevölkerung wächst jährlich um mehr als zwei Prozent. Ein Fünftel der Bewohner lebt in Armut mit etwa einem Dollar pro Tag zum Überleben, viele davon in Slums, auf Müllkippen und Friedhöfen. Bisher hing die philippinische Bevölkerungspolitik am Tropf ausländischer Sponsoren. 2008 stellte der größte Geldgeber für Verhütungsmittel, die USA, seine Hilfe ein.
Ursache der Armut, sagt die Regierung, sei mangelnde Familienplanung
Im Bevölkerungszuwachs sieht die philippinische Regierung die Hauptursache für die Armut im Land. Mit dem neuen Gesetz will sie Familienplanung allen zugänglich machen. Das sei ein Menschenrecht, kein Privileg der Reichen. Vorgesehen: kostenlose Verhütungsmittel für Arme, Programme zur Familienplanung, Aufklärungsunterricht an öffentlichen Schulen.
Die künstlichen Verhütungsmittel sind der zentrale Konfliktpunkt. „Die Regierung“, schreiben die Bischöfe in einer Stellungnahme, „behandelt Schwangerschaft wie eine Krankheit.“ Nach katholischer Lehre sei jede Schwangerschaft ein Geschenk Gottes. Zudem würden Pille und Kondome einen hedonistischen, promisken Lebensstil propagieren und damit Ehe- und Familienleben zerstören. Ihr Gegenvorschlag: „Lasst uns natürliche Familienplanung lehren!“ Laut Umfragen ist die Mehrheit der philippinischen Bevölkerung in dieser Frage gegen die römisch-katholische Position und für das Regierungsprogramm.
Junice Melgar, eine Aktivistin für das Verhütungsgesetz
Die Ärztin Junice Melgar empfängt in ihrem Büro in der Frauenorganisation Likhaan. Auf den Regalen stapeln sich Aufklärungsbücher und medizinische Fachliteratur, daneben steht ein vergilbter Plastikpenis. Melgar kämpfte als junge Frau gegen die Marcos-Diktatur und behandelte vom Regime traumatisierte und vergewaltigte Frauen. 1997 gründete sie Likhaan. „Hier können Frauen offen über Sexualität und Verhütung sprechen“, sagt sie. „Und hier können sie lernen, für ihre Rechte einzustehen.“
Rund fünfzehn Jahre lang hat Melgar für das Gesetz gekämpft. Sie organisierte ein „Die-in“, um auf die Tausende von Filipinas aufmerksam zu machen, die jedes Jahr durch illegale Abtreibungen und mangelnde Schwangerschaftsvorsorge sterben. „Zweihundert Frauen lagen vor der Zentrale der katholischen Bischofskonferenz“, erzählt sie, „Likhaan-Mitarbeiterinnen und Frauen aus Manilas Armenvierteln“. Melgar spricht ruhig und unaufgeregt, aber es klingt Stolz in ihrer Stimme. „Wir haben die Debatten direkt im Kongress mitverfolgt und nachts davor gezeltet“, sagt sie. „Sogar alte Frauen, ich hatte Angst, dass sie nicht durchhalten würden. Zur Abstimmung hielten wir uns alle an den Händen. Das war ein historischer Tag“.
Nicht die hohe Geburtenrate sei schuld an der Armut, sagt die Kirche, sondern die Unfähigkeit der Regierung - und fehlende Jobs
Ursache der Armut, sagen die Bischöfe, sind schlechte Schulen und ein Mangel an Arbeitsplätzen
Melgar wirkt müde. Ihre grauen Haare sind zum Pferdeschwanz gebunden. Sie setzt sich an den langen Konferenztisch. „Mit Präsident Benigno Aquino haben wir Glück, er hält, was er versprochen hat.“ Politik und Religion seien auf den Philippinen eng miteinander verknüpft. „Über ein Jahrzehnt lang wurde über das Gesetz debattiert, in Parlament und Kongress wurde abgestimmt, 70 Prozent der Filipinos sind für den Erlass.“ Die Kirche versucht immer noch, auch die Methoden zur natürlichen Familienplanung im Gesetz zu verankern. Was Melgar entmutigt, natürliche Verhütungsmethoden reichten nicht aus, sagt sie. „Die Kirche reicht weiterhin Petitionen ein, Priester machen von der Kanzel Stimmung.“ Die Kirche hat gedroht, den Präsidenten zu exkommunizieren, jetzt mobilisiert sie gegen das Parlament. In Bacolod City stehe eine gigantische Plakatwand, sagt Melgar, auf der die Kandidaten in zwei Gruppen eingeteilt werden: „Leben“ repräsentiere Gesetzesgegner, „Tod“ die Befürworter.
In den Slums des Manila-Bezirks Tondo streunen ausgemergelte Hunde, Katzen und Hühner zwischen Benzinkanistern, Plastikplanen und aufgeschlitzten Autoreifen umher. Darüber wohnen die Menschen in zusammengezimmerten Bretterbuden auf Stelzen und leben von dem, was andere wegwerfen. Es ist März, eigentlich Trockenzeit, doch der Erdboden ist schon jetzt eine schwarze Jauchegrube. Es riecht nach verbranntem Müll, von der Schnellstraße pesten die Lastwagen ihre Abgase zwischen die Hütten, vom Boden zieht ein Geruch aus Fäulnis und Fäkalien herauf. Zwei nackte Kinder spielen im Morast, Eiter tränt aus ihren Augen. Ursache für diese Armut, sagen die Bischöfe, seien die Korruption und eine Regierung, die den Armen keine adäquaten Schulen, Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffe. Von der Verteilung von Verhütungsmitteln profitiere nur die Pharmaindustrie.
Lisa Zimbahon trieb ab und begrub den Embryo im Schlamm
Vor einer der Hütten wiegt eine magere Frau ihren Enkel in den Schlaf. Auch sie protestierte bei der jüngsten Abstimmung vor dem Kongress gegen das Gesetz und für ihren Glauben. „Jedes Kind ist von Gott gewollt,“ sagt sie. An ihrer Brettertür hängt ein Jesusposter mit Psalmen: „Wenn die Welt euch hasst, so wisst, dass sie mich vorher gehasst hat“, steht da – und: „Nie werde ich dich verlassen und nicht von dir weichen.“ Fast lesen sich die Bibelzitate wie Aufrufe zum Widerstand. Eltern müssten hart arbeiten, sagt die Frau und drückt den Jungen fest an sich. Aber mit Fleiß könnten sie es schaffen.
Lisa Zimbahon lebt am vermüllten Fluss in einem der Slums von Tondo. Sie hat es nicht geschafft. Die Feuchtigkeit hat ihre Zehennägel angefressen. Als sie ihr viertes Kind gebar, starb der Mann, für die Pille hatte sie kein Geld und von anderen Verhütungsmethoden nichts gehört. Mit dem neuen Partner wurde sie wieder schwanger. Woher das Geld für ein fünftes Kind nehmen? Ihre Nachbarin riet ihr, auf dem Platz vor der Quiapo-Kirche von Straßenhändlern illegale Abtreibungsmittel zu kaufen. Zimbahon besorgte Cytotec, ein Medikament gegen Magengeschwüre. Auch die Nachbarin hatte damit abgetrieben. Lisa Zimbahon betete in der Kirche, nahm die Tabletten ein und spülte sie mit ein paar Schlucken Limonade hinunter. Bald zog sich ihre Gebärmutter zusammen. Nach einer Unterleibsmassage kam der Fötus heraus, dritter Monat.
Lisa Zimbahon hatte Glück, ihre Blutungen hörten auf. Aber die Gewissensbisse blieben. Sie legte den abgetriebenen Embryo in Alkohol ein und stellte ihn in einer Flasche zu sich in den Bretterverschlag. Jeden Tag bat sie Gott um Vergebung, einen ganzen Monat lang, dann begrub sie ihn im Schlamm. Fünf Jahre ist das her.
Plädoyer für die Pille: eine Mitarbeiterin der Frauenorganisation Likhaan diskutiert mit einer Bewohnerin aus dem Slum
Mitos Rivera, eine Aktivistin für natürliche Familienplanung
Inzwischen gibt es Programme zur Familienplanung in Tondo. Mitos Rivera hat eigens eine Nichtregierungsorganisation zur natürlichen Familienplanung gegründet, eine Methode, die die Kirche unterstützt. Rivera entwickelt Lehrmaterial und bildet Lehrkräfte in Armenvierteln aus. Zu ihren Arbeitgebern zählt die Catholic Womens League, eine katholische Laienorganisation.
Natürliche Familienplanung basiere auf dem Fruchtbarkeitszyklus der Frau, erklärt sie. In den fruchtbaren Tagen bleibe das Paar abstinent. Zu keiner Zeit würden Hilfsmittel angewandt, die den Geschlechtsakt stören und oder die Empfängnis blockieren. Nach katholischer Lehre: „pro Leben“. Rivera trägt an ihrem Handgelenk einen Rosenkranz, sie spricht energisch, man merkt, dass sie häufig ihren Standpunkt verteidigen muss. Selbst habe sie nie künstliche Verhütungsmittel angewandt, „ein Segen für meine Ehe und Familie“, sagt sie, sie wolle diese Erfahrung an andere Paare weitergeben.
Rivera legt eine Kette mit Plastikperlen im Kreis vor sich auf den Tisch. Jede Perle, sagt sie, symbolisiere einen Tag im Zyklus der Frau. Die 18 braunen Perlen nennt sie Partner-, die zwölf weißen Baby-Tage. „Das sind die Tage an denen eine Schwangerschaft sehr wahrscheinlich ist. Sie fluoreszieren in der Dunkelheit, damit auch Paare ohne Elektrizität sie benutzen können.“ Anders als bei künstlicher Verhütung müssen die Partner gemeinsam entscheiden, ob sie ein Kind haben möchten oder nicht. Gemeinsam müssen sie abstinent sein. Das stärke die Partnerschaft und bereite ein Paar auf die Verantwortung vor.
"Natürlich ist für einen Mann unnatürlich"
Aber die natürliche Verhütung fordert eine hochdisziplinierte Selbstbeobachtung von den Frauen. Sie müssen Temperatur messen, ihren Gebärmutterhals regelmäßig abtasten – das ist viel verlangt von Frauen, die im Slum einen harten Kampf ums Überleben ihrer Familien führen. In Tondos Likhaan-Filiale stehen die Filipinas Schlange für Hormonspritzen, -implantate und Antibabypille. „Anfangs wurden wir als Ehezerrütter und Sünder beschimpft“, sagt Junice Melgar. „Seitdem wir Partnerkurse in Familienplanung anbieten, kooperieren die Männer mit uns.“ In den kleinen Kabinen mit Duschvorhängen geben Likhaan-Mitarbeiter Patientendaten in Laptops ein.
Eine Frau streckt den Arm aus und zeigt stolz auf die Stelle ihres Implantats. „Früher haben wir auch natürliche Familienplanung angeboten“, sagt Melgar, „aber Nachfrage und Erfolgsquote waren gering.“ Rund 25 Prozent der Frauen würden trotzdem schwanger. „Natürlich“, sagt eine Likhaan-Mitarbeiterin, „ist für einen Mann unnatürlich.“