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Guter Sex? Was ist das denn überhaupt?
Besser, man macht seine Liebe nicht nur davon abhängig, meint Filmemacher Wim Wenders
Dirk von Nayhauß
07.10.2010

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Wenn ich an einen Ort komme, an dem ich noch nie vorher war - ob das nun eine Stadt ist oder eine Landschaft - und zum ersten Mal loslaufe. Wenn ich also nicht weiß, wie es hinter der nächsten Straßenecke aussieht oder was hinter dem nächsten Berg kommt. Reisen ist ein Zustand erhöhter Aufnahmebereitschaft und somit eine Metapher für das Leben selbst. Man fühlt sich nur dann lebendig, wenn es einem gelingt, im Jetzt zu leben. So einfach ist das nicht mehr, es wird im Lauf der Zeit eher schwieriger. Wir haben alle keine Zeit mehr, weil wir so viel vor uns herschieben, was getan und gelebt werden will. Wir kommen gar nicht mehr dazu, uns in der Gegenwart zu verlieren.

An welchen Gott glauben Sie?

An den, der sich im Neuen Testament manifestiert, auf unglaublich großzügige, grenzenlos liebevolle Weise. Ich finde das Neue Testament so atemberaubend, weil es nur Möglichkeiten eröffnet und keinerlei Einengungen. Das ist kein abstrakter Gott. Sein Wesen kann ich heute spüren. Nicht nur beim Beten. Auch das Licht erlebe ich oft als eine Nähe Gottes und jeden Akt von Freundlichkeit oder Brüderlichkeit unter Menschen! Gott spüren zu können ist ja eine kindliche Fähigkeit, die viele Menschen im Lauf der Jahre verlernt zu haben glauben. Ich meine nicht das naive "14 Englein um mich stehen", sondern dieses Grundvertrauen in ein Gehörtwerden, sich von Gott gesehen und erkannt zu wissen. Ich habe in meinem Leben Antworten auf Gebete bekommen, gerade dann, wenn ich niemand anderen mehr fragen konnte. Man kann das von den Psalmen lernen, von der Unmittelbarkeit und Unbedingtheit, mit der David da Gott anruft und sagt: "Heh! Ich brauche deine Hilfe, lass mich jetzt nicht hängen! " Man muss sich nur trauen! Ich habe dadurch oft in mir Gewissheit erfahren oder Frieden mit etwas schließen können.

Hat das Leben einen Sinn?

Mehr und mehr für mich. Früher war ich einer, der sehr verschlossen war und alles aus sich selbst holen wollte oder in sich reingefressen hat, so ein richtiger deutscher Nachkriegsjunge. Das hat sich allmählich gelöst, nicht zuletzt durchs Filmemachen, was ja ein sehr sozialer Beruf ist, bei dem man vieles teilen muss. Mit den Jahren bin ich ein anderer geworden, der den Hauptsinn seines Lebens inzwischen darin sieht, für andere da zu sein.

Muss man den Tod fürchten?

Die Frage kann man nicht für andere beantworten. Für mich kann ich sagen: Nein! Ich habe als junger Mann ein Erlebnis gehabt, wo ich dem Tod sehr nahe war. Damals wusste ich in meinem Herzen, dass ich sterben würde. Das war völlig klar und deutlich. Dann habe ich das Bewusstsein verloren und bin durch diese Tür gegangen, auf das Ende zu, wo alles hell wurde. Da war von Angst keine Spur, nur ein einziges großes Staunen über so viel Licht und Freiheit. Seitdem kann ich behaupten, vor dem Tod selber keine Angst zu haben. Die Menschen, die ich bis in den Tod begleitet habe, wie meinen Vater, die waren am Ende alle ganz ruhig und voller Erwartung. In dem neuen Film "Palermo Shooting" spielt der Tod eine große Rolle. Besser gesagt: Es geht darum, die Vergänglichkeit als menschliche Kondition wieder zu verstehen. Sich zu fragen: Wofür lebe ich? Und lebe ich wirklich so, dass ich mein eigenes Leben nicht im Grunde verpasse? Der Tod ist das Einzige, was alle Menschen gemein haben und was uns deswegen alle gleich macht. Warum zwingt uns unsere Konsumkultur immer mehr dazu, ausgerechnet das am meisten zu verdrängen? Zwar können in jedem Film Tausende sterben und abgemurkst werden, aber den Tod selber darf man im Kino nicht thematisch machen! Tabu! Was ist denn das für ein Unfug!

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Das ist bei mir die einfachste Frage der Welt geworden, seit ich mit meiner Frau Donata verheiratet bin, 16 Jahre schon, und wir mit jedem Jahr froher zusammen sind. Einfach alles zu teilen, das Gute und das Schlechte, jeden Frust, jede Angst, jede Freude, aber auch das Beten, das ist tausendmal besser als jeder Sex. Wo doch viele Leute Ehe und Liebe daran messen, ob ein Paar guten Sex hat. Wichtiger ist, dass man ein bedingungsloses Vertrauen zueinander findet, dass man immer noch offener sein kann. Auch dem Sex tut das übrigens gut, wenn nicht alles davon abhängt!

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