In der letzten Woche sagten wir unseren Gottesdienst ab, wegen einer geplanten Großdemo der Muslimbrüder. Die Busse, in denen diese ihre Anhänger transportieren, sollten in der Nähe unserer Kirche parken, und der Gefahr durch die tobenden Massen wollten wir uns nicht aussetzen. Die Demo wurde dann in der Nacht zuvor abgeblasen. Zu spät für uns. Aber „rechtzeitig“ – das ist hier ein sehr relativer Begriff.
Kairo ist zurzeit eine Stadt für Spontis . . . Auch die Evangelische Oberschule schloss neulich für eine Großkundgebung, die dann doch ausfiel. Einige Schulen, die nahe am Tahrir-Platz liegen, dem Versammlungsort der Regierungskritiker, haben seit Wochen ganz zu und versuchen mühsam, an anderen Standorten den Unterricht fortzusetzen. Immer nur von heute auf morgen entscheiden zu können – für mich als Pensionär in Vakanzvertretung ist das eine Herausforderung.
Aber mir geht es noch gut.Ich kann mich unbehelligt in der Öffentlicheit bewegen, anders als unsere koptischen Glaubensschwestern. Einer Koptin hatten radikal denkende Fahrgäste in der Metro die (traditionell unbedeckten) Haareabgeschnitten. Andere berichten, dass sich niemand neben sie, die Unverschleierten,setzen will. Meine Haushälterin fühlt sichauf dem Weg zur Arbeit täglich bedroht und geächtet. Wir, die Mitglieder der deutschen evangelischen Gemeinde, sind mit unseren hellen Gesichtern sofort als Ausländer zu erkennen und dadurch relativ geschützt.
Aber natürlich sind auch wir voller Sorge. Und fragen uns, welche Jahreszeit gerade anbricht in diesem Land. Ist das noch immer der islamische Frühling? Oder der demokratische Herbst mit Tendenz zu theokratischer Eiszeit? Wir sorgen uns um Toleranz, um Glaubensfreiheit, um die weiten Herzen und die Menschlichkeit. Und gleichzeitig merken wir: Das liegt nicht in unserer Hand