Gegen antiserbische Gräuelpropaganda
Ein Jurist und sein Trick im ersten Weltkrieg
Lena Uphoff
23.08.2012

Diese Karriere konnte sich wahrlich sehen lassen. Carl Brockhausen,  1859 in Emmerich am Niederrhein geboren, aber als Kaufmanssohn in Wien aufgewachsen, hatte das Jurastudium an der Wiener Universität im Rekordtempo absolviert. Mit 23 Jahren schloss er seine Promotion zum Dr. jur. ab. Als Twen beriet er das habsburgische Kaiserreich in rechtlichen Fragen, sei es Innenpolitik, Sozial- oder Handelsrecht. Mit gerade mal 35 ­Jahren habilitierte er sich in österreichischem Verwaltungsrecht. Professor Brockhausen – eine Stütze der Donaumonarchie, fest verankert in den besseren Kreisen der Hauptstadt.

So sah er sich selbst. Und als solcher verfasste er einen patriotischen Text namens „Österreichs Kriegsziel“, in dem er  1915 darlegte, dass das Ziel des Ersten Weltkrieges für Österreich-Ungarn ein nachhaltiger Friede sei. „Dass niemals der Barbarei ein endgültiger Sieg beschieden sein kann“, davon war der Kulturbürger Brockhausen derart überzeugt, dass ihn Karl Kraus in seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ als weltfremden ­Bildungszausel dem allgemeinen Spott preisgab.

Stachen die Serben den verletzten Österreichern tatsächlich die Augen aus?

Was Kraus nicht mitbekam: Just in der  Zeit, als er die Szene mit Brockhausen schrieb, hatte der ein Erlebnis, das ihn tiefgreifend veränderte. Beschrieben hat das die pazifistische Schriftstellerin Annette Kolb in einem Vortrag 1915, in dem sie als Deutsch-Französin für ein rasches Ende des aus ihrer Sicht völlig blödsinnigen Krieges plädierte. Mit gleichgesinnten In­tellektuellen in München und Wien wirkten Brockhausen und Kolb an der Gründung der „Internationalen Rundschau“ mit. Ziel: die Menschen in den kriegführenden Nationen fair, offen und mit dem Ziel Frieden zu informieren, statt sie mit gegenseitiger Gräuelpropaganda von der Schändlichkeit, Gemeinheit und Hinterhältigkeit der jeweiligen Feinde zum Hass aufzustacheln. Zu den Unterstützern dieses Weges zählten später André Gide, Romain Rolland und Hermann Hesse.

Am Rande einer Sitzung, erzählt Kolb, habe ihr Carl Brockhausen geschildert, wie ihm die österreichischen Zeitungsberichte von den Untaten serbischer Soldaten keine Ruhe gelassen hätten. So las er, „die serbischen Soldaten besäßen eine wahre Vorliebe, den österreichischen Verwundeten die Augen auszustechen“. Da Brockhausen in der Nähe eines Lazarettes wohnte, in dem „solch beklagenswerte Opfer in Pflege lagen“, wollte er sich persönlich überzeugen.

"So jemand gibt es hier nicht!"

Er nahm fünfzig Kronen (die damals gültige österreichische Währung) mit ins Mili­tärkrankenlager und bat einen der Ärzte, ihm einen Verwundeten mit ausgestoche­nen Augen zu zeigen, dem er das Geld übergeben könnte. „Tut mir leid“, antwortete der Arzt, „so jemanden gibt es hier nicht.“ Ob er sein Geld nicht einem Soldaten geben wolle, der sein Augenlicht durch eine Schussverwundung verloren habe. Nein, könne er nicht, beharrte Brockhausen; er wolle seine Hilfe ausdrücklich einem absichtlich von den Serben Verstümmelten zuteil werden lassen.

Da gebe es allerdings genügend Gelegenheit, meinte der Mediziner, und nannte ihm eine lange Reihe anderer La­zarette, in denen seines Wissens Opfer ­solcher Schandtaten lägen. Brockhausen klapperte sie alle ab. Er fand wie im ersten Lager zahlreiche Augenverletzte, aber niemanden, der Opfer einer Verstümmelung geworden war.

Brockhausen gründete die "Internationale Rundschau"

Diese Erfahrung mit der Gräuelpro­paganda brachte Brockhausen auf die Idee der „Internationalen Rundschau“ gegen „sys­tematische wie gedankenlose Volksverhetzung“. Schließlich überzeugte er ­eine Reihe von Kollegen in der neutralen Schweiz, das Medium zu gründen und zu finanzieren.

92-jährig starb Brockhausen 1951 in Kitzbühel. Bis zuletzt hielt er an der Idee fest, dass der Weltfriede nicht durch Weltherrschaft, sondern nur „durch Erdwandel und Seelenwandel der Völker“ gelingen könnte, und warnte die Siegermächte des Zweiten Weltkieges davor, die Fehler des Versailler Vertrages von 1919 zu wieder­holen. Der Umgang der West-Alliierten mit dem Nachkriegsdeutschland durch Marshall-Plan und demokratische Stärkung, vor allem dessen Ergebnis, geben Carl Brockhausen recht.

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