Wenn man etwas wirklich spannend findet, dann gibt es bestimmt bessere Worte dafür als - spannend
Tim Wegner
19.07.2012

Kinder wissen es schon länger. Wenn Lehrer ihnen mit „spannenden Ausflügen in die Welt der Zahlen“ oder „spannenden Texträtseln“ kommen, wittern sie sofort einen weiteren Versuch, ihnen das verhasste Schulfach Mathe künstlich schmackhaft zu machen. Hast du mir wieder eine dieser „spannenden“ Lesegeschichten mitgebracht?, fragen sie Mama, und sie können das An- und Abführungszeichen sehr deutlich mitsprechen. Kinder wissen: Wenn man „spannend“ draufschreiben muss, kann es so doll nicht sein mit dem Thrill.

Von der erwachsenen Welt des Blubber

Aber längst ist das Adjektiv eingewandert in die erwachsene Welt des Blubber. „Warum es nie spannender war, älter zu werden“, heißt ein neues Buch, in dem eigentlich kluge Sätze stehen. Aber man möchte ihn schütteln, den Verlag. Die Mitte des Lebens, früher uncharmant „Wechseljahre“ genannt, ist zweifellos lustiger, gesünder und überraschungsreicher ­geworden als früher. Das ist gut so. Aber muss sie deshalb gleich „spannend“ sein? So „spannend“ wie das „Netzwerk Dresden Industriekultur“, die „spannenden Fallbeispiele aus der Hämatologie“ und die „spannende Makroökonomie“ mitten in der Wirtschaftskrise? Alles ist jetzt so „spannend“, dass es beim Leser einen Gähnreflex auslöst. Und erst recht bei der Zuhörerin. Wehe, ein mittelmäßiger Redner sagt die Worte: „Achtung, jetzt wird’s spannend.“ Das ist dramaturgisch so ungeschickt wie die Ankündigung: „Ich sag jetzt mal was ganz Ketzerisches.“ Leute, sagt, macht, schimpft, baut Spannung auf mit Worten und Gesten! Aber sagt nicht, dass es, schnarch, gähn, jetzt gleich spannend wird.


Spannung gibt es – ähnlich wie Glück – nicht als Dauerzustand. Sie ensteht aus dem Wechsel zwischen Spannung und Entspannung. Ein ­Endspiel beim Fußball, ein Krimi von Wallander – spannend. Aber nur so spannend, wie zwischendurch das Leben auch ganz normal sein darf. Und Achtung: Wenn Sie jemandem eine Geschichte erzählen, und der erwidert dieses eine Wort: „spannend“, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass  er innerlich gerade die Einkaufsliste für den Supermarkt macht.
 

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