Es geschah fast genau vor vierzig Jahren: Da kamen im Würzburger Dom die Bischöfe der damaligen Bundesrepublik mit Priestern, Ordensleuten und Laien zusammen, um gemeinsam zu beraten: Wie lässt sich das Zweite Vatikanische Konzil, das Reformkonzil, für die katholische Kirche in Westdeutschland umsetzen? Das Treffen, das am 3. Januar 1971 begann, hieß „Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ und tagte bis Ende 1975 in insgesamt acht Vollversammlungen. Es handelte sich dabei um ein für die katholische Kirche nicht nur in Deutschland untypisches Unternehmen, wie es auch seither nicht mehr durchgeführt wurde.
Wer das Wort „Synode“ im kirchlichen Zusammenhang hört, wird wohl zuallererst an die evangelische Kirche denken und gerade nicht an die katholische. Für das heutige protestantische Kirchenwesen sind Synoden auf allen Ebenen völlig normal. In ihnen beteiligen sich Geistliche und Laien an Gestaltung und Leitung der Kirche. In der katholischen Kirche dagegen gibt es teilweise zwar ähnliche Gremien, aber sie haben nur sehr begrenzte Kompetenzen. Und das ist immer wieder der Grund für erhebliche Diskussionen. Die Forderung nach einer stärkeren Beteiligung der Gläubigen gehört nicht umsonst zum Kanon vieler katholischer Reformdebatten, zuletzt im Zusammenhang mit dem Memorandum „Kirche 2011“. Darin fordern Professoren – im April waren es bereits mehr als 300 katholische Theologinnen und Theologen – mehr Einfluss der Kirchenbasis, zum Beispiel bei der Bestellung wichtiger Amtsträger. Unter den Unterzeichnern: der Religionspädagoge Albert Biesinger, der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, der Dogmatiker Hans Küng und der Alttestamentler Bernhard Lang.
Beim Thema Synoden entwickelten sich die evangelische und die katholische Kirche sehr unterschiedlich
Gilt demnach: Kirche der flächendeckenden Mitsprache aller Mitglieder versus Kirche der verweigerten Beteiligung? Eine solche Gegenüberstellung ist zwar nicht schlechterdings falsch, aber sie macht die Sache zu einfach, wie der Blick auf die Geschichte beider Konfessionen zeigt.
Eine entscheidende Zäsur in Sachen Mitsprache brachte für Katholiken wie Protestanten das 19. Jahrhundert. Damals entwickelten sich die Wege in beiden Kirchen deutlich auseinander. In den evangelischen Landeskirchen fanden Synoden Eingang in die jeweiligen Kirchenordnungen, in etwa vergleichbar den Parlamenten innerhalb des monarchischen Systems. Die Synoden waren allerdings noch keine wirkliche Kontrollinstanz gegenüber dem Kirchenregiment, sondern unterstützten dieses mit Rat und Fachkompetenz. Das hat sich später geändert, als die Synoden das Haushaltsrecht bekamen und als Gesetzgeber tätig wurden.
Während im evangelischen Deutschland die Leitung der Kirche so zunehmend auf mehrere Instanzen verteilt wurde, brachte für die katholische Kirche das Erste Vatikanische Konzil (1869/70) eine bis dahin nicht gekannte Zuspitzung des Papstamtes als der höchsten Autorität. Das Konzil definierte nicht nur die Unfehlbarkeit des Papstes bei bestimmten Lehrentscheidungen, sondern auch seine volle und höchste Rechtsgewalt in der Kirche. Demnach sind alle Gläubigen dem Papst gegenüber zu „wahrem Gehorsam“ verpflichtet, in Glaubens- und Sittenfragen, in Fragen der Disziplin und der Leitungsgewalt. Dieser massive Anspruch des Papstes drohte nicht nur die eigenständige Vollmacht der einzelnen Bischöfe zu untergraben, er hebelte auch jede Form von Mitsprache oder Mitbestimmung durch gläubige Laien aus.
Erst das Zweite Vatikanische Konzil gab der Mitwirkung des Kirchenvolks einen höheren Stellenwert
Dann endlich das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965). Es rückte einiges zurecht. Einerseits bekräftigte es zwar die dogmatischen Festlegungen des Ersten Vatikanums. Aber gleichzeitig wertete es die Rolle der Bischöfe auf und ermahnte sie dazu, die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anzuerkennen und zu fördern: Sie sollten „gern deren klugen Rat benutzen, ihnen vertrauensvoll Aufgaben im Dienst der Kirche übertragen und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen“, so beschloss das Konzil. Seither entwickelten sich neue Formen der Mitarbeit von Laien in der Seelsorge, im deutschen Sprachraum durch Gemeinde- und Pastoralreferenten. Wann und wie das kirchliche Amt den Rat der Laien einholt, bleibt allerdings nach wie vor ihm überlassen.
Es entstanden Gremien auf Pfarreiebene, in den Dekanaten, auf Bistumsebene. Zu diesen ständigen Gremien kamen in den letzten Jahrzehnten noch Gesprächs- und Beratungsforen in den meisten Diözesen: als Diözesansynode, als Diözesanforum oder als „Pastoralgespräch“. Dass es dennoch häufig Klagen über mangelnde Beteiligung gibt, kann an der Zahl der Gremien also kaum liegen.
Damit hat die katholische Kirche aber nicht mit der evangelischen gleichgezogen. Das hat mit den nach wie vor bestehenden Unterschieden im Verständnis von Kirche und kirchlichem Amt zu tun. In der katholischen Kirche gibt es ein hierarchisch gegliedertes Amt: Es hat die Letztverantwortung für Gestaltung und Leitung der kirchlichen Gemeinschaft. Dementsprechend haben Gremien, in denen Laien vertreten sind, meist nur beratende Funktion oder höchstens ein eingeschränktes Beschlussrecht. Bei der „Gemeinsamen Synode“ der Bistümer hatten seinerzeit zwar Bischöfe, Priester und Laien das gleiche Stimmrecht. Aber Beschlüsse erlangten erst Rechtsgeltung, wenn sie von den jeweiligen Bischöfen für ihre Diözese formell in Kraft gesetzt wurden. Mancher Vorstoß der Synode, etwa der zur Teilnahme von Katholiken am evangelischen Abendmahl, wartet heute noch auf seine offizielle Umsetzung.
Mit der Mitsprache hapert es fast fünfzig Jahre nach dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils in der katholischen Kirche, übrigens auch noch im Verhältnis zwischen dem Papst und den Bischöfen. Seit dem Konzil gibt es zwar die Institution der „Bischofssynode“, zu der sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit Bischöfe aus den verschiedenen Teilen der Weltkirche in Rom unter dem Vorsitz des Papstes treffen. Aber schon die Themen, die diese Synode behandeln darf, werden letztlich vom Papst bestimmt, der dann auch allein darüber entscheiden kann, was mit ihren Beratungsergebnissen jeweils geschieht.
Die Bischöfe haben mehr Entscheidungsfreiheit, als sie nutzen
Aber: Veränderungen sind möglich. Veränderungen, die nicht mit den verbindlichen Lehrvorgaben in Konflikt kämen, die katholische Kirche aber doch einen Schuss synodaler machen würden. So könnten sich Bischöfe verpflichten, mit Mehrheit gefasste Beschlüsse der jeweiligen Gremien zu übernehmen. Es geht durchaus mehr, als heute praktiziert wird.
Dass die Kirchenmitglieder beziehungsweise ihre Vertreter an Entscheidungen über das kirchliche Leben beteiligt sein sollten, ergibt sich letztlich aus der Würde und Berufung jedes Christenmenschen. Was aber auch bedeutet: Kirchenmitglieder müssen sich in die Pflicht nehmen lassen. Heute beteiligt sich meist nur eine mehr oder weniger kleine Minderheit der Kirchenmitglieder an den Wahlen zu den gemeindlichen Gremien. Das gilt für evangelische Kirchengemeinderäte oder Presbyterien wie für katholische Pfarrgemeinderäte, obwohl diese Gremien in ihren Gemeinden unterschiedlich viel zu sagen beziehungsweise nicht zu sagen haben. Die allermeisten Glieder beider Kirchen verzichten auf ihre Mitwirkungs- und Mitspracherechte – weil sie auch sonst mit der „fremden Heimat“ Kirche nur sehr locker oder so gut wie gar nicht verbunden sind.
Hier liegt der Hase im Pfeffer: Es braucht Kirchen, die Menschen für ihre Botschaft neu oder wiedergewinnen wollen. Ein erweitertes Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht könnte die Kirchen für nicht wenige Menschen attraktiver machen. Menschen zu gewinnen, ist ein Anliegen beider Konfessionen, der katholischen wie der evangelischen. Die Themen Mitsprache und Mitverantwortung könnten ein zentrales ökumenisches Lernfeld sein. Da geht es eben nicht nur um eine institutionelle, eine organisatorische Frage, sondern die Debatte führt tief hinein ins jeweilige Kirchenverständnis. Vielleicht ist es das, was die Autoren des Reform-Memorandums wünschen.
Zu viel Optimismus…
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