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Von der Kirchturmspitze glänzt ein goldener Engel. Die Marienkirche in Reutlingen ist bei Sonnenschein kilometerweit zu sehen. Ihre Ausstrahlung reichte schon einmal sehr viel weiter, als Matthäus Alber hier predigte, ein Zeitgenosse Luthers - sehr zum Ärger des Bischofs von Konstanz und der Habsburger Krone.
Ein paar Monate nach Ende des Luther-Jahrs setzt Dekan Marcus Keinath einen regionalen Schluss-Akkord: In diesem Gottesdienst erinnert er "an unseren Reformator, an den Reutlinger Luther".
Die freie Reichsstadt Reutlingen unterstand nur dem Kaiser, doch weder vom Bischof noch vom weltlichen Herrn aus Wien ließen sich die wack’ren Schwaben vorschreiben, was in ihrer Kirche gepredigt werden sollte. "Unser Alber" musste daher 1525 zum Verhör nach Eßlingen zum Reichsregiment, vier Jahren nachdem Martin Luther seine Thesen vorm Reichstag in Worms verteidigt hatte. Dekan Keinath hat in alten Protokollen nachgelesen, wie mutig der junge Priester aus Reutlingen vor Gericht auftrat. "Allein die Schrift, allein Jesus, allein der Glaube." Alles andere interessierte ihn nicht. "Wir sind alle Priester", habe er den Anklägern erwidert, unser Schatz heißt Jesus und jeder Ablasshandel sei von Übel. Auch aus "Frage 26" der Anklageschrift zitiert Keinath: "Er soll gepredigt haben, dass die Christen nicht gegen die Türken fechten sollen." Richtig, habe Alber unerschrocken erwidert, "Christen fechten mit dem Wort, nicht mit Gewalt." Die Richter schienen beeindruckt. Matthäus Alber kehrte als freier Mann zurück, und Reutlingen entwickelte sich zu einer Hochburg der schwäbischen Reformation. Man habe die Arbeit für gottgefällig erklärt und fast schon zum Sakrament erhoben.
Keinath predigt von der gotischen Sandsteinkanzel zu den Gottesdienstbesuchern. Ein verschmitztes Lächeln fährt ihm übers Gesicht, als er von Matthäus Albers "Heiligsprechung des Schaffens" spricht. "Werke sind Zeugen unseres Glaubens", habe Alber gesagt. Sie gehören zum Glauben "wie der Schein zum Feuer." Wer jetzt noch nicht begreift, warum Mercedes, Porsche und Bosch gleich um die Ecke ihren Firmensitz haben, der hat seinen Alber nicht verstanden. Das nachfolgende Kirchenlied unterstreicht es noch mal: "Die Werk’, die kommen g’wisslich her / Aus einem rechten Glauben: / Denn das nicht rechter Glaube wär’. / Wollt’ s ihn der Werk’ berauben."
Gestärkt tritt man nach der Predigt hinaus in die sauber gekehrte Fußgängerzone.
Gemeindebüro im Matthäus-Alber-Haus:
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