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St. Johannis-Kirche in Wolfenbüttel, Sonntag, 10 Uhr: Draußen malt der Herbst die Bäume an. Aus der idyllischen Fachwerkkirche pustet die Heizung Qualm über den Friedhof. Freundlich begrüßt Prädikant Jörg Zimmer die Gottesdienstbesucher mit Handschlag, der Pastor kann heute nicht. An der Tür überreichen Frauen die Gesangbücher. Sieben Engel blicken von der Decke auf die Gottesdienstgemeinde. Der Kirchgänger fühlt sich behütet. Im hellen Altarraum zeigt ein lebensgroßer Johannes der Täufer mit dem Finger auf Jesus. Darüber steht auf einem Medaillon das Motto des Kirchenförderers Herzog August: "Alles mit Bedacht". Es passt zum Tempo des ersten Liedes. "Auf und macht die Herzen weit", singt die Gemeinde zaghaft. Schwierige Melodie, kein Wunder. Die Tonfolge sei "nach einem Tempelgesang aus China" geschrieben, steht im Gesangbuch.
Unaufgeregt richtet der Prädikant seine Begrüßungsworte an die Gemeinde. Er trägt einen Talar ohne Beffchen. Eine ältere Dame liest etwas unsicher Verse aus dem Philipperbrief vor. Sie handeln von Vorbildern, die anschließende Lesung aus der Bergpredigt (Matthäus 5) kreist um Jesu Verbot zu schwören. Routiniert wickelt der Prädikant die Liturgie ab.
Uwe Birnstein
Dann steigt er auf die geschnitzte Holzkanzel, die von Moses gehörntem Kopf getragen wird, und liest seine Predigt vor. Er überfordert die Gemeinde nicht, weder mit theologischen Verrenkungen noch mit emotionalen Regungen. Sachlich trägt er vor, dass der Prophet Johannes ein versiegeltes Buch bekommen hatte, das nur Jesus öffnen konnte. Der Inhalt: kommende Kriege und Katastrophen. Aber Jesus stehe den Opfern zur Seite. Auch heute drohen Katastrophen, der dramatische Klimawandel etwa und wachsende Armut. In bedrückenden Situationen spende die Bibel Trost. Schade, dass sie heute sogar vielen in der Kirche Engagierten wie ein "Buch mit sieben Siegeln" vorkomme. Dabei könne man sie öffnen.
Wie? Durch Gruppengespräche zum Beispiel. Oder indem man, wie Christen in Tansania, die Bibel mit in den Gottesdienst bringe. Oder indem man sie, ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer es meinte, wie einen "Liebesbrief von Gott" lese.
"Sonne der Gerechtigkeit" stimmt der Organist in sehr bedächtigem Tempo an. Die Tonfolge zu "Lie-hie-hie-besglut" zieht sich zäh in die Länge.
Erwartungsgemäß fehlerfrei liest der Prädikant einen Segensspruch. Am Ende legt er seine Mappe aus der Hand und zeichnet frei das Segenskreuz. Schön.
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Johannis in Wolfenbüttel
Glockengasse 2
38304 Wolfenbüttel
Tel. 05331 / 29 85 44
Mail: johannis.wf.pfa@lk-bs.de