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Wenn man sich über den Hugenottenplatz nähert, fällt die klassizistische Stadtkirche inmitten der tristen Betonfassaden auf: ein Versammlungshaus aus der Goethezeit mit Löwenwappen über der Tür. Drinnen ein lichter Saal: helles Parkett, Wandfarbe Altrosa, sehr große Fenster. Zwölf Menschen verteilen sich auf die grauen Bankreihen.
Vorn spielt Kirchenmusikerin Rozana Weidmann am Flügel aus Bachs Goldberg-Variationen vor. Die Klänge passen zum Raum. Überhaupt muss man die Musik in diesem Gottesdienst loben. Weidmann phrasiert jede Zeile aus Liturgie und Chorälen mit, dezent, aber sehr hilfreich für die Gemeinde.
Von Frau Weidmann abgesehen sind hier alle Aktiven Ehrenamtler: Küster, Lektor, Prediger. Holger App, stellvertretender Geschäftsführer eines Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, erzählt in seiner Predigt von einer Reise nach Eritrea, die für seinen mitreisenden Sohn gefährlich gewesen sei. Die meisten hier wissen: Apps Adoptivsohn ist gebürtiger Eritreer und deutscher Staatsbürger und musste dennoch fürchten, dortbehalten zu werden.
Jemand aus Eritrea habe wissen wollen, was in Deutschland der schlechteste Beruf sei. „Sicherheitskraft“, habe App geantwortet, ein politisches Statement: Eritrea gilt als „Nordkorea Afrikas“. Auf seine Rückfrage nach dem schlechtesten Beruf in Eritrea hätten alle geantwortet: „Viehhirt.“
Volle Punktzahl für die Musik!
Womit App beim Predigttext ist: Hesekiel 34, der Prophet kritisiert die schlechten Hirten Israels. App spricht über korrupte Eliten, schlechte Kirchenführer der Vergangenheit, Fehlentscheidungen in den Kirchen heute. „Jeder dritte Pfarrer der Landeskirche ist nicht mehr im gemeindlichen Dienst“, sagt er. Auch der Stadtkirche wurde die Pastorenstelle gestrichen. Eine Seelsorgerin hilft mit einer Viertelstelle aus, den Rest erledigen Ehrenamtliche.
Leider strengt es im halligen Raum an, App zuzuhören. Der Predigttext ist lang und schwer. App hebt Hesekiels Heilsversprechen hervor: Gott wird das Verlorene suchen und das Schwache stärken. Gilt es uns überhaupt, unserer Kirche mit verbeamteten Pfarrern in einem der reichsten Länder der Welt?
Nach dem Abendmahl noch einmal Goldberg-Variationen. Anschließend lobt eine ältere Dame Frau Weidmanns Klavierspiel, beklagt sich aber über die „Sozialpädagogensprache“ in den modernen Chorälen. Der Kirchgänger teilt ihre Kritik nicht. Volle Punktzahl für die Musik!