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In der Nacht hat es kräftig geschneit. Durch eine schmale freigeräumte Schneise trippeln die Kirchgänger ver einzelt zum Portal. Zwei Kinder liefern sich eine kurze Schneeballschlacht, dann flüchten auch sie in die Wärme. Im größten Kirchenraum Leipzigs ist es trocken und behaglich. Helle Holz klappstühle statt Bänke – charmant!
Vorn steht noch der Weihnachtsbaum, auch eine Krippe. Kerzen leuchten, Restglanz von Weihnachten an diesem ersten Sonntag nach Epiphanias. Auf einmal stimmt der Organist das erste Lied auf einer kleinen Orgel links vor dem Altarraum an. Schnell hinsetzen. Welches Lied wird hier eigentlich gesungen? Nirgendwo ist es angeschlagen. Also zurück zum Eingang und den Ablaufzettel holen.
Pfarrerin Christiane Dohrn blickt kurz seitlich auf die Krippe. In ihrem Grußwort fragt sie: „Welche Bilder haben uns aus dem vergangenen Jahr hinausbegleitet und was erwartet uns im neuen?“ Trump, 500 Jahre Reformation, Bundestagswahl.
Ein sympathisch unperfekter Chor
Für Pfarrerin Dohrn erscheint das Leben Jesu im Matthäusevangelium wie im Zeitraffer erzählt: Geburt, Flucht, Taufe, erste Predigt. „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“, sprach Jesus in Galiläa (Matthäus 4,17).
„Hob er den moralischen Zeigefinger?“, fragt Dohrn in ihrer Predigt. Und schon hebt sie ihn selbst und mahnt Populisten, korrupte Banker und Politiker, sich zu besinnen. Doch ihr Zorn flammt nur kurz auf, dann steuert sie auf eine andere Auslegung zu. Sie ist ganz einfach: Wenn das Himmelreich nahe ist und „ein Licht im Dunkeln angezündet wird“, brauche man keinen moralischen Zeigefinger.
Der Organist begleitet das Predigtlied wieder kräftig, die Stimmen verlieren sich im großen Raum. Die Gemeinde ist wohl im Winterschlaf. Da kommt der für heute eingeladene, sympathisch unperfekte Chor aus Lehramtsstudierenden gerade recht. Freundlich und engagiert auch die Kirchenältesten, die geduldig die Kollekte sammeln.
Zum Abendmahl werden die 40 Gottesdienstbesucher wieder munter. Sie drängen sich alle in einen Halbkreis um den Altar. Der Weihnachtsbaum ist ein letztes Mal zum Greifen nahe.
In den Abkündigungen ruft die Kirchenälteste zur Teilnahme an einer Demo gegen Legida auf. Im Eingangsbereich sind Stehtische mit Kerzen. Vor allem ältere Leute bleiben auf eine Tasse Kaffee. Dann geht es wieder hinaus in den Schnee. Dem Weihnachtsbaum wird der Stecker gezogen.