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Zwei Kirchen läuten um die Wette. Die katholische Heilig-Geist-Kirche an der Lamboystraße und die evangelische Kreuzkirche, Karl-Marx-Straße 43. Hier predigt Pfarrerin Dorothea Best-Trusheim. 13 ältere Damen verteilen sich auf die teils sonnenbeschienenen Holzbänke, außerdem zwei Konfirmanden. Der Küster teilt DIN-A5-Zettel mit Dietrich Bonhoeffers „Glaubensbekenntnis“ aus: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.“ Der Organist spielt versiert. Und schon ist Pastorin Best-Trusheim dran. „Gestern waren wir noch auf der Wartburg“, sagt sie in Richtung der beiden Jugendlichen in der zweiten Bankreihe. Da habe man darüber geredet, dass das Leben kein Ponyhof sei. In den Eingangsgebeten verrät Best-Trusheim, warum: Krieg, Terror, Umweltzerstörung und das Prinzip „das Eigene zuerst“ und „America first“.
Predigttext ist Matthäus, Kapitel 14: Jesus lässt die Jünger im Boot vorausfahren und läuft ihnen dann im Sturm auf dem Wasser entgegen. Sie fürchten erst, er sei ein Gespenst. Petrus steigt aus dem Boot, um zu Jesus zu gelangen und versinkt in den Fluten. Jesus rettet ihn. Best-Trusheim deutet Zeile für Zeile. Dass sich Jesus zunächst zurückziehen will – „auch ich darf mir eine Auszeit von all meinen Verpflichtungen nehmen. Ein Termin jagt den nächsten, der Computer stürzt ab.“ Ob das die Sorgen der 13 älteren Damen sind? Vielleicht ja auch.
Je mehr Best-Trusheim predigt, desto mehr vermutet der Kirchgänger: Hier sitzt der Fankreis der Pfarrerin, der ihre sensible Art zu predigen schätzt, und wie sie biblische Bilder auf Lebenserfahrungen bezieht. „Jesus sagt: Fürchtet euch nicht. Das wahrzunehmen ist gar nicht so leicht im Sturm und in den Wellen des Lebens... Petrus prescht vor: Herr, bist du es? Jesus lässt sich darauf ein. Immer wieder lässt Gott sich ansprechen.“ Sie vergleicht die Passage mit Bonhoeffers „Glaubensbekenntnis“: „Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ Petrus verlässt das Boot. „Verrückt!“, sagt Best-Trusheim. „Aber ich kann mich in ihn hineinversetzen. Es gibt Momente, da bin ich bereit, vorbehaltlos zu glauben. Und dann komme ich wieder auf den Boden zurück, der Moment ist entzaubert.“ Ein bereichernder Gottesdienst! Schade nur, dass man nicht jeden Einsatz der Orgel versteht. Vielleicht sollte die Gemeinde mal ihre Liturgie überarbeiten.