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Evangelische Kirche Seulberg, Friedrichsdorf, 9.45 Uhr: Nanu, was machen die Mönche da vorne im Chor? Im Dörflein nördlich von Frankfurt am Main feiert man 500 Jahre Reformation mit einem Musikgottesdienst. Über 100 Seulberger füllen die große neugotische Kirche. Auch katholische Ordensleute? Nein. Heute gestaltet der Chor den Gottesdienst, der Pfarrer schaut zu. Und der Chor hat ein kleines Theateranspiel vorbereitet, dafür die Kutten.
Nach dem Orgelvorspiel begrüßen Damen aus dem Chor die Gemeinde, sprechen Luthers Morgensegen, einen Psalm, die Gebete, die Lesungen – alles gründlich vorbereitet, aufeinander abgestimmt und gut gelesen. Zwischendurch singt der Chor, spielen das Flötenensemble und das Gemshornquartett (Schnabelflöten aus Tierhorn). Lauter Lutherlieder, gesetzt von Bach und Telemann, sehr musikalisch vorgetragen. Der Kirchgänger kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Kein Absturz in die Nüchternheit
Anstelle einer Predigt nun das Theateranspiel. Luther in altertümlicher Doktorentracht, zwei Schüler in Mönchskutten, eine Katharina von Bora mit Haube. Tischgespräche. Alles Mögliche wird erörtert: Luthers Bibelübersetzung, die Botschaft von Sünde und Gnade, der Glaube. Manches wirkt ein wenig handgestrickt: „Habt Vertrauen in Gott und in eure Fähigkeiten, und ihr werdet eure Probleme lösen.“ Aber studierte Theologen kriegen das auch nicht immer besser hin. Und die Lutherzitate, vorgetragen vom Lesepult, reißen vieles wieder heraus: „Glaube ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade. Solche Zuversicht macht fröhlich, trotzig und voller Lust gegen Gott und alle Geschöpfe.“ Zwischen den Anspielen: hinreißend schön gespielte Blockflötenstücke, ein hoch konzentiertes Gesangsoktett. In seine „Vorrede zur Deutschen Messe“ schrieb Luther: Ernsthafte Christen könnten sich irgendwo in einem Haus versammeln, beten, lesen, taufen, das Abendmahl empfangen, auch ohne Pfarrer. Luther fehlten dafür die Leute, Seulberg hat sie.
Schließlich die Abkündigungen. Kein Absturz in die Nüchternheit. Alles passt, auch weil sich niemand in den Vordergrund drängt. Am Ende singt der Chor von der Empore. Die Gemeinde blickt auf einen leeren Altarraum. „Verleih uns Frieden“, singen die Männer in einem gepflegten Legato. Die Frauen setzen ein, „es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten“, Felix Mendelssohn Bartholdy. Was für eine Segensbitte. Protestanten aller Länder schaut auf Seulberg. So muss Gottesdienst sein!