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Muss das sein? Ausgerechnet am Erntedankfest haben die Einzelhändler in Ravensburg den „Verkaufsoffenen Sonntag“ ausgerufen, trotz Protests der Kirchen, wie die Lokalpresse berichtet. Die Katholiken haben an ihre Liebfrauenkirche ein großes Transparent gehängt: „Sonntag – ein Geschenk des Himmels“. Und Liegestühle vor die Kirche gestellt. Und die Protestanten?
Gespannt geht die Kirchgängerin am Sonntag früh über den mittelalterlichen Marienplatz. Der Verkaufssonntag kündigt sich schon an mit spanischem Churros-Stand und Geruch von Hamburger Fischbrötchen. Brrr, und das bei Regen, wie hässlich. Hinein in die große evangelische Kirche. Neben dem Altar liegen Kürbis, Hagebuttenkranz, rote Äpfel und selbst gebackener Hefezopf. Das Leben ist ein Fest hier im fruchtbaren Oberschwaben. Nicht nur an Erntedank.
Vier Taufen sagt der Pfarrer an, wie aufmerksam, dass er die Namen weiß ohne Ringbuch und Spickzettel. Taufe und Erntedank haben viel gemeinsam, sagt er, beide Feste künden von der „Fülle des Lebens“ und holen den Alltag in die Kirche hinein. So stehen Täuflinge, Eltern und Paten zwischen Erntealtar und Taufbecken, die Gemeinde singt „Nun danket all und bringet Ehr“ von Paul Gerhardt.
Und jetzt die Predigt. Wird der Pfarrer ein glühendes Plädoyer gegen den Kommerz halten? Nein, er predigt zum Thema „Ordnung“. Auf die Frage „Wie gehts?“ sagen Schwaben gerne: „Danke, ordentlich!“ Als junger Kerl habe er das spießig gefunden, bekennt der Pfarrer, und ohnehin mehr aufs kreative Chaos gesetzt. Inzwischen, als Vater und liebender Ehemann, erkenne er den Sinn „guter Ordnung“: dass Regeln, die nicht jeden Tag neu verhandelt werden müssen, allen Beteiligten Raum geben zu wachsen. Dass die Schöpfung selber ein Ordnen des „Tohuwabohu“ war, ein hebräisches Wort für „wüst und wirr“ – wieder was gelernt an Erntedank. Und dass eine „gute, lebensfördernde Ordnung“ auch das dritte Gebot sei: den Sonn-tag heiligen, damit die Gesellschaft nicht der ungehemmtem Effizienz ausgeliefert wird. Dass heute die Geschäfte offen haben, sagt der Pfarrer, kann er nicht akzeptieren. Aber tolerieren. Und lädt ein zum Mittagessen im Gemeindehaus.
Elegant gelöst. Ein guter Posaunenchor, schöne Paul-Gerhardt-Lieder, eine ordentliche Predigt. Und Obst aus der Region. Wer will da spanische Churros essen und in überfüllte Läden gehen? Auch wenn er das Wort nicht mag – den Wettbewerb um das bessere Sonntagsangebot hat dieser Pfarrer glatt gewonnen.
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