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Wie viele Stadtteile Stuttgart besitzt, können nicht einmal diejenigen genau sagen, die alles können außer Hochdeutsch. Wolfbusch ist jedenfalls selbst bei vielen Stuttgartern kein bekannter Ort, liegt er doch hinter sieben Hügeln weit im Westen der Stadt.
Ein kleines Kirchlein steht am Rande dieser ehemaligen NS-Vorzeigesiedlung, und vor dem Kirchlein steht an diesem Sonntag unübersehbar das Auto von Pfarrerin Guntrun Müller-Ensslin. Man erkennt es an dem Protestaufkleber gegen das umstrittene Mammutprojekt der Bahn, "Stuttgart 21".
In den kleinen Siedlerhäusern wohnen heute vorwiegend ältere Menschen. So überwiegt in den Bankreihen die Haarfarbe Grau. Umso mehr hebt sich der gelockte Blondschopf von Pfarrerin Ensslin ab. Vor ein paar Wochen war sie vor dem Hauptbahnhof ans Rednerpult getreten und hatte vor Tausenden von Demonstranten Tacheles geredet. Gegen "profilsüchtige Politiker" und "raffgierige Baukonzerne".
Mit einem ganz "unheiligen Zorn" verfolge sie, wie Geld verschleudert werde von Menschen, denen nichts heilig sei außer Profit und Prestige. Starke Worte einer Vertreterin der evangelischen Landeskirche. In ihrer Gemeinde aber wird sie an diesem Sonntag nicht politisieren, obwohl der Predigttext vom armen Lazarus in Abrahams Schoß und dem reichen Mann in der Hölle (Lukas 16,19-23) dazu Gelegenheit böte.
Reichtum an sich sei nicht böse und Armut an sich nichts Gutes. Irgendwie ist sie bei der Vorbereitung dieser Predigt nahezu verzweifelt, sagt sie. So schlicht fand sie diese Bibelstelle und so hilflos die Versuche von Theologen, sie zu bewerten. Darum hat Guntrun Ensslin sich entschlossen, anstatt eine Predigt zu halten, einen Brief an den "lieben Lukas" zu schreiben, und den liest sie nun von der Kanzel herunter vor.
Was ihn denn "geritten" habe, so einen Blödsinn zu schreiben? Nein, so derb drückt sich Guntrun Ensslin nicht aus, aber weit davon entfernt ist ihre Einschätzung nicht. "Mit dem Holzhammer ändert man nichts", liest sie vor, wer einem Reichen damit drohe, dass er wegen seines Reichtums in die Hölle komme, der habe irgendetwas von der Liebe Gottes nicht ganz richtig verstanden. Angst als Motivation für Nächstenliebe sei kein guter Antrieb.
"Wer dagegen erkennt, welche Freude es macht, mit anderen zu teilen, der gibt gern von seinem Reichtum ab." Sie hat sich in Fahrt geredet und findet am Ende versöhnliche Worte für den lieben Lukas: "Nimm ihn, diesen Brief, nicht übel."
"Stuttgart 21" hat Guntrun Ensslin mit keinem Wort erwähnt. Dennoch haben wohl die meisten Kirchgänger gedacht, dass auch das Milliardenprojekt am Hauptbahnhof irgendwie mit Lazarus zusammenhängt.
Zur Gemeinde
Evangelisches Pfarramt
Pfarrerin Guntrun Müller-Enßlin
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Im Internet unter www.ev-wolfbuschgemeinde.de
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