Bewertung
Neubrück ist nicht schön. Eine Trabantenstadt vor den Toren von Köln, gesichtslose Plattenbauten, in den 60er Jahren von Konrad Adenauer persönlich gegründet auf dem Brachgelände eines ehemaligen Fliegerhorstes. Mitten in der Tristesse eine kupferrote Kirche, einladend gebaut wie ein Zelt. Auf dem Programm steht ein Gottesdienst zum schönen Thema "Mütter". Spannend.
Und es fängt gut an. Der Singkreis stimmt das kämpferische "Mirjamlied" an, doch was ist das? "Mirjam, Mirjam schlug auf die Pauke", schmettert die Gemeinde fast wie früher im Frauenzentrum. Aber der Organist, der spielt irgendwas anderes. Nach grausamen drei Minuten schlägt Pfarrerin Alice Husken auf die Pauke - bravo, wer in Köln Alice heißt, muss sich auch durchsetzen. Kurzerhand nimmt sie den Organisten aus dem Spiel, und wir singen a cappella noch mal von vorne vom Lande der Knechtschaft und dem Traum von der Freiheit.
Die Kirche ist voll besetzt, was auch daran liegt, dass der kleine Nikita getauft wird und seine ganze russlanddeutsche Großfamilie gekommen ist, vom Minirock-Teenie bis zur Oma mit Kopftuch. In Neubrück wohnen viele Aussiedler, und viele sind evangelisch. Die Pfarrerin ist sichtlich verzückt vom kleinen Täufling im weißen Hemd mit Kragen, winkt ihm immer wieder zu - "Der will zur Oma". Und gegen elf fragt sich die Besucherin leicht besorgt: Kommt wohl auch noch Erwachsenenprogramm?
Ja, doch, es gibt - nach Taufe, Lesung, Glaubensbekenntnis - die Geschichte der Hanna, die keine Kinder kriegen konnte. Jetzt wird's aber sehr bieder. "Ein Haus wird doch erst ein Zuhause, wenn eine Wiege darin steht", zitiert die Pfarrerin gleich zwei Mal ein Lied von Reinhard Mey aus den 70ern, und man fragt sich schon, wie sich jetzt eine Kirchenbesucherin mit unerfülltem Kinderwunsch fühlen würde. Und ist die Rivalität zwischen Hanna und ihrer fruchtbaren Rivalin Peninna wirklich "typisch Frauen unter sich"? Klingt ganz schön muffig.
Dass Kinder "ein Geschenk" sind und "kein Besitz", das stimmt natürlich. Aber ist arg schlicht. Man ahnt, es ist schwer, vor so einem heterogenen Publikum zu predigen, vor den russischen Großfamilien, für die Deutsch teilweise eine Fremdsprache ist. Vor den temperamentvollen Frauen aus dem Singkreis und vor den netten Konfirmanden aus dem Viertel. Vielleicht fehlt deshalb jeder originelle Gedanke.
Dafür singen wir schöne Lieder, mit Herz und Mund und von der Liebe, die so ist wie Wasser. "Mich ergreift das Lied immer wieder", seufzt die Pfarrerin. Die "Bande der Knechtschaft" legen wir so zwar nie ab. Dafür spenden wir für die evangelische Frauenarbeit.
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