Lena Uphoff
15.11.2010

Mein Freund Josef ist ein guter Katholik und darüber hinaus auch noch ein geschickter Organisator. Es wunderte mich also nicht, dass er irgendwann Chef einer großen sozialen Einrichtung wurde. Zu seiner Amtseinführung hatte sich die örtliche Prominenz eingefunden, ebenso die mittleren und höheren Würdenträger des Bistums und die Spitzenvertreter der evangelischen Nachbareinrichtungen. Auch ein paar alte Freunde labten sich an dem rustikalen Buffet, das die stolze Anstalt hatte auffahren lassen.

Die Reden waren von unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher Qualität, wie immer bei solchen Anlässen. Und jeder der Gäste überreichte bei der anschließenden Gratulationscour ein Geschenk. Nach der Landrätin und dem Bürgermeister näherte sich Josef ein würdiger älterer Herr, der schon am Kragen als Geistlicher zu erkennen war. "Das ist der Generalvikar", raunte meine Nachbarin zur Linken ihrem Begleiter zu, "der Verwaltungschef des Bistums, Josefs oberster Boss." Der schmächtige Mann mühte sich mit einem sperrigen Paket ab, mindestens einen Meter lang und fast ebenso breit. Ein Bild.

Unter Segenswünschen und nach ausgiebigem Händeschütteln nahm Josef strahlend das Paket in Empfang.

Was tun? Wohin damit?

Ein paar Monate später saß ich mit Josef beim Bier. Irgendwie kamen wir auf die schöne Feier zu sprechen. Und ich fragte ihn, was das denn für ein Bild gewesen sei, das ihm der Geistliche überreicht hatte. Josefs gute Laune war von einer Sekunde auf die andere verflogen. "Böse Geschichte", murmelte er. "Als Ursel und ich das Ding zu Hause auspackten, traf uns fast der Schlag. Ein dornengekrönter Christus, blutüberströmt, in düstersten Farben und künstlerisch ­- wenn ich es mal vornehm sage -­ völlig misslungen. Das Werk eines Dilettanten." Was tun? Wohin damit? Die beiden waren sich sofort einig: Das kommt nicht ins Wohnzimmer. Und ins Schlafzimmer auch nicht. Sie beschlossen, den Ölschinken wieder zu verpacken, und stellten ihn hinter das Sofa.

Drei Wochen später kam der Generalvikar zu einer Sitzung in Josefs Einrichtung. Leutselig nahm er Josef zur Seite: "Na, wo haben Sie es aufgehängt, mein Bild? Ich habe es in meinem letzten Urlaub gemalt. Beim Malkurs in der Steiermark. Mache ich jedes Jahr. Tut gut. Und ich habe immer schöne persönliche Geschenke für Leute, die mir wichtig sind." Und dann tat Josef etwas, was er selten tat: Er log. Einen Ehrenplatz habe der Dornengekrönte. In der Diele. Über der Essecke. Ganz toll.

"Sie verstehen etwas von Kunst."

"Das wusste ich", antwortete entzückt der Würdenträger. "Sie verstehen etwas von Kunst. Deshalb habe ich es Ihnen geschenkt. Ich würde zu gern sehen, wie es sich macht, das Bild. Ich habe noch ein halbes Stündchen Zeit, hätten sie etwas dagegen, wenn wir bei Ihnen vorbeifahren?"

Josef trank sein Glas ex. "Tja, was sollte ich tun? Ich habe Ursel angerufen und sie gebeten, das Ding anstelle der toskanischen Landschaft über den Esstisch zu hängen. Fand sie gar nicht gut. Aber sie gab nach. Die halbe Stunde werde sie den Anblick aushalten."

"Ich schaue immer wieder mal nach meinen Bildern."

Der geistliche Herr trat in die Diele und war begeistert: "Nein, ich glaub es nicht. Der ideale Platz! Das Licht! Genau richtig." Josef lächelte Ursel dankbar und ein wenig verlegen zu. In die Stille hinein sagte der Generalvikar: "Nun habe ich einen Grund, Sie häufiger zu besuchen. Ich mache das gerne. Ich schaue immer wieder mal nach meinen Bildern. Gemälde sind wie Freunde."

Fünfmal hat Josef das Geschenk inzwischen auf- und abgehängt. Dass es an seinem Platz bleibt, haben Ursel und die Kinder kategorisch abgelehnt. Das Essen würde ihnen sonst nicht mehr schmecken. Josefs kleinlauten Widerspruch wies sein Jüngster mit einem Satz zurück: "Du sollst nicht lügen, Papa." Ich sagte nur: Prost, Josef!

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