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Mein Freund Bertram ist Krankenhausarzt und Schwabe. Zwei Dinge kann er nicht leiden: wenn die Leute nicht auf ihre Gesundheit achten und wenn sie ihr Geld "zom Fenschder naus schmeißet". Partys sind ihm ein Graus. Neulich hat er sich doch mal wieder auf eine verirrt. "Ich musste halt hingehen, meinem Chef zuliebe. Lauter wichtige Leut, hat er gesagt. Stadträte halt. Die brauchen wir, wenn wir demnächst den Erweiterungsbau für die Innere in Angriff nehmen."
Der George Clooney des Neckartales
Bertram ist ein "saubers Mannsbild". Wir nennen ihn gerne den George Clooney des Neckartales. Aber das schert ihn nicht. Ich glaube, er ist sich seiner Wirkung auf die Frauen gar nicht bewusst. Am liebsten ist er in seinem Krankenhaus unterwegs. Ob der Arbeitstag zehn oder mehr Stunden hat, kümmert ihn wenig. Wenn er heimkommt, spielt er mit seinen Kindern Schach oder trinkt mit seiner Frau Lore in Ruhe ein Glas Lemberger. Das reicht ihm.
Auf der besagten Party, die man sich weniger als Orgie denn als das übliche gepflegte Rumstehen der besseren Kreise seiner Kleinstadt bei Wein und Kanapees vorzustellen hat, nahm ihn eine imposante Dame ins Visier. "Ich finde es so wahnsinnig wichtig, was für meinen Körper zu tun, Gesundheit ist für mich die Hauptsache", eröffnete sie ihm. Dann erzählte sie, dass sie Nordic Walking mache. Für 120 Euro habe sie sich jetzt "ganz tolle Walkingstöcke" gekauft. "Mhmm", kommentierte Betram, "und mit dene rennet Sie jetzt ums Goldene Kalb?"
Die Dame verstand nicht. "Nein, meine Freundinnen und ich walken gewöhnlich im Katzenbachtal. Kennen Sie das? Geheimtipp unserer Trainerin. Die kostet uns 60 Euro die Stunde." Aber die sei wirklich große Klasse, die Trainerin. "Ich habe schon deutlich an Gewicht verloren." Bertram, dessen Charme nun Panzerfaust-Niveau erreichte: "Des kommt wahrscheinlich vom leeren Geldbeutel." Stille. Dann setzte die Dame nach tiefem Atemholen noch mal an: "Sie halten offenbar nicht viel vom Walking?" Bertram hob den Blick von seinem Weinglas und fixierte sein Gegenüber ein paar Sekunden. Dann raunzte er: "In der frischen Luft herumzuspazieren ist gesund. Keine Frage. Und wenn es Ihnen gut tut, dafür Geld auszugeben, dass Ihnen jemand zeigt, wie das geht, dann ist das in Ordnung. Aber man kann das auch billiger haben."
"Doktor Heinzles Rotwein-Walking-Programm."
"Da bin ich aber neugierig, Herr Doktor", schnaubte die Dame. "Also ich wandere auch mit Stöcken", erklärte Bertram. "Ich nehme dazu meine alten Skistöcke vom Langlauf." Wie das denn gehen solle auf Asphalt, fragte seine Gesprächspartnerin spitz. "Sehen Sie, ich bin Weintrinker", klärte der Doktor sie auf, "und sammle die Korken. Die stecke ich auf die Stockspitzen. Ein Glas Rotwein ist gut zur Vorbeugung gegen den Herzinfarkt. Und von dem Geld, das Sie für Stöcke und Trainer ausgeben, decke ich locker meinen Jahresbedarf." Die Dame war beeindruckt. "Sie sollten einen Ratgeber herausbringen: Doktor Heinzles Rotwein-Walking-Programm." "Noch ein Goldenes Kalb. Und Sie würden es glatt kaufen." Bertram deutete einen Diener an und ließ die Walkerin stehen.
Gestern fischte ich eine Einladung zu einer Buchpräsentation aus meiner Post. "Walking und Wein. Genießen und gesund bleiben". Dr. Bertram Heinzles Clooney-Lächeln strahlte mir entgegen. Ich rief ihn an. "Was sollte ich denn machen", stöhnte er. Die Frau mit den Walkingstöcken ist Verlegerin. "Die hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte. Ich muss ja auch an meine Familie denken! Kommscht zur Präsentation?"
Obwohl der Weg nach Württemberg weit ist, überlege ich es mir. Denn die Buchvorstellung findet in einer meiner Lieblingsweinstuben statt. Sie heißt zwar nicht "Goldenes Kalb", aber immerhin "Goldener Ochsen".