Arnd Brummer, was ich notiert habe
Arnd Brummer ist Chefredakteur von chrismon
Foto: Sven Paustian
Was ist denn dein Problem? Ach, das kenne ich auch
Wirklich krank sind die Gesunden , das wusste schon Erich Fromm. Doch das sehen die Kranken oft anders
Lena Uphoff
21.06.2016

Es gibt einen Satz des großen Psychologen und Philosophen Erich Fromm, der mich seit langer Zeit begleitet und tröstet: „Die kränks­ten Menschen sind die normalsten. Glücklich, wer ein Symptom hat!“ Fromm stellt fest, es gebe ein Diktat, glücklich zu sein. Wer zugebe, dass er unter Depressionen und Schlaflosigkeit leide, Schmerzen habe, sei schwach und kein wertvolles ­Mitglied der Gesellschaft. Für Erich Fromm sind die Mutigen, die Freien, die Gesunden jene, die sich dem Befehl verweigern und offen bekennen: Ich fühle mich nicht gut. Und hinzu­fügen: Ich bin so, habe deshalb kein schlechtes Gewissen, bin nicht käuflich.

Die Werbespots für Partnersuchportale, Schlaf- oder Schmerztabletten spielen mit der Angst vor dem kranken Image: Du kannst ganz leicht deine psychische, soziale oder körperliche Unvollkommenheit ausgleichen. Du musst nur ein paar Euro ausgeben und alles wird gut! Die in solchen Spots präsentierten Ratgeberinnen und Ratgeber lächeln fröhlich und geben zu erkennen, auch ihnen sei es mal anders gegangen, bis, ja!, bis sie eben das Produkt „Dummdumm“ oder die Partnervermittlung „Doppeldumm“ entdeckt und schließlich genutzt hätten. Gehäuft erscheinen diese Angebote in den Minuten vor den wichtigsten TV-Nachrichtensendungen. ­Fazit: Die Werbeberater haben herausgefunden, dass genau zu diesen Tageszeiten nicht mehr ganz frische Menschen (alleine) fernsehen, die sich minderwertig fühlen.

Im Vorlauf des Reformationsjubiläums 2017 wird für mich ­immer wieder deutlich, dass Erich Fromm in der Spur des Martin Luther unterwegs war. Der 1900 als Sohn einer jüdischen Familie in Frankfurt am Main geborene und dort ab 1930 als Sozial­psychologe lehrende Wissenschaftler emigrierte im Mai 1934 in die USA. Er starb 1980 in seinem Alterswohnsitz im schweizerischen Tessin. Seine Kritik an dem Zwang, die eigene Persönlichkeit den geltenden Erwartungen der Gesellschaft anzupassen, entspricht Luthers Abwehr des Ablasshandels.

Lieber ein Smartphone als Sterben für die gerechte Sache...

Im ausgehenden Mittelalter hatten Wanderprediger wie der Dominikanerpater Johann Tetzel für die Finanzierung der Kirche mit der Zusage an die Gläubigen gearbeitet: Wer eine Geldspende leistet, dem werden seine Sünden vergeben. Bekannt ist der Tetzel zugeschriebene Satz: „Sobald der Taler im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“

Im Himmel sind die Allerletzten

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Kleine Geschichten über die großen Themen des Lebens. Mal nachdenklich, meistens heiter, hintergründig und geistreich berichtet chrismon-Chefredakteur Arnd Brummer von Begegnungen und Beobachtungen, die nur scheinbar alltäglich sind. Wagt man mit Arnd Brummer den Blick hinter die Oberfläche, erschließen sich tiefe Einsichten in die großen Themen des Lebens.

Bei der edition chrismon erhältlich (über die Hotline 0800 / 247 47 66 oder unter www.chrismonshop.de).

Viele sich selbst als areligiöse, atheistische Menschen wahrnehmende Zeitgenossen, scheint mir, haben den Glauben an solchen Leistungsaustausch nicht verloren. Sie haben ihn nur übertragen. Sie hoffen auf ein preiswertes Wunder, das sie zu einem anerkannten, weil glücklich und gesund wirkenden Menschen macht. Sie wollen dem Bild entsprechen, das ihnen allenthalben und überall als Darstellung eines korrekten, den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechenden Wesen präsentiert wird.

Sich selbst als unvollkommen, ja als mangelhaft wahrzunehmen und zu versuchen, dies mit dem Kauf von Schmuck, Autos, neuesten Smartphones oder anderen elektronischen Glücksbringern wenigstens unsichtbar zu machen, ist ja noch eine vergleichsweise harmlose Form von Anpassung.

Erzähl, wie es dir geht! Was hast du für Symptome?

Die Angst vor der Nichtzugehörigkeit zur Gruppe der Guten, der Heilen, der Gesunden öffnet, wie wir gerade wieder erleben, auch Heilsversprechern die Tür, die nicht nur den Taler im Geldbeutel fordern, sondern das Leben selbst als Preis festsetzen. „Wenn du dich für die richtige Sache opferst, wirst du im Himmel zu den Besten gerechnet werden! Heile dich von deiner eigentlichen Erkrankung – also von deinem Leben!“

Uff! Dieser letzte Schritt in der Fußspur Erich Fromms lässt mich dann doch wieder milde und geradezu erleichtert auf die geldgierigen Anbieter paradiesischer Haarsprays, erlösender Schlaftabletten und himmlischer Tablets schauen.

Und jetzt Schluss damit! Lasst uns auf einen Tee oder ein Bier oder ein Viertel Wein zusammensitzen. Erzähl, wie es dir geht! Was hast du für Symptome? Interessant, das kenne ich auch. Ich bin also gar nicht alleine krank, unvollkommen und hässlich. ­Das tröstet mich. Prost!

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