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Die Mail des Buchverlags kam mit einem drängelnden roten Ausrufezeichen: „Diese Nachricht hat höchste Priorität.“ Sie traf exakt sechs Tage nach dem Tod von Steve Jobs ein. „Die erste autorisierte Biografie des Apple-Gründers“ stand in der Betreffzeile. Ja, ja – Betreff: Dollars! Das war eine Geschäftsidee, die dem smarten Steve gefallen hätte. Aber – Betreff: Würde – kann man, wenn man eine Biografie im Giftschrank hat, vielleicht mal warten, bis wenigstens der Tote bestattet ist?
Nein, nein, warten geht gar nicht mehr, alles hat jetzt „höchste Priorität“. Am Anfang wie am Ende des Lebens, und bei allen kleinen Stationen zwischendurch. Wir warten nicht mehr, bis ein Kind von selber auf die Welt kommen mag, wir holen es immer häufiger per Kaiserschnitt. Wir stellen die Nachricht über die Geburt samt Babyfoto und Video simultan ins Internet oder posten sie auf Facebook. Ist ja auch doll, dass wir Fotos jetzt immer digital und sofort sehen. Dabei hat das Warten auf ein Foto (ersatzweise ist es heute das Warten auf den Postboten, der das gedruckte Fotobuch bringt) seinen ganz eigenen Zauber. Beobachten kann man das an Urlaubsorten, wo geschäftstüchtige Fotografen schaurige Kitschfotos machen – und der Tourist abends dann doch gespannt zwei, drei Mal am Verkaufsstand des Knipsers lauert, ob man vielleicht besonders hübsch im Abendlicht getroffen wurde. Die Fotos sind furchtbar, aber das Warten, das hat was.
Am Ende warten wir auch nicht mehr aufs Sterben
Aber wir warten nicht mehr. Wir warten nicht, bis es Erdbeeren aus Deutschland gibt, wir warten nicht, bis der Schnupfen von selber weggeht, wir warten im Supermarkt nicht, bis der Spekulatius auch zu den Außentemperaturen passt. Und am Ende warten wir nicht mehr aufs Sterben, Exit, Dignitas, höchste Priorität.
Deshalb hat der Advent dieses Mal etwas regelrecht Anarchisches. Wir müssen vom 1. Advent bis Heiligabend rekordverdächtige 28 Tage warten. Man kann den Advent nicht beschleunigen, nicht digital runterladen und noch nicht mal seinen Lieferstatus im Internet verfolgen. Passt gar nicht in die Zeit, dieser Advent. Genau dafür lieben wir ihn.