Dauergänsehaut – ein Fall für den Notarzt?
Ob Adventssingen oder Fußbal, alles macht neuerdings Gänsehaut.
Tim Wegner
30.01.2019

Das Fußballstadion war ausverkauft, das Licht ging aus, und alle sangen "Stille Nacht". Ja, das war schön und feierlich, zwischendurch auch mal frostig an den Füßen, und der junge Hipster hinter mir hätte seinen bakteriellen Infekt auch gern zu Hause auskurieren können. Es war schön. Aber war es, wie der Kollege vom "Express" schrieb, wirklich "Dauer­gänsehaut"? Und geht das physio­logisch überhaupt?

Tim Wegner

Ursula Ott

Ursula Ott ist Chefredakteurin von chrismon und der digitalen Kommunikation im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH. Sie studierte Diplom-Journalistik in München und Paris und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Sie arbeitete als Gerichtsreporterin bei der "Frankfurter Rundschau", als Redakteurin bei "Emma", als Autorin und Kolumnistin bei der "Woche", bei der "Brigitte" und bei "Sonntag aktuell" sowie als freie Autorin für Radio und Fernsehen. 2020 und 2021 wurde sie unter die 10 besten Chefredakteur*innen des Jahres gewählt. 2019 schrieb sie den Bestseller "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume. Vom Loslassen, Ausräumen und Bewahren".

Eine Gänsehaut ist laut Medizinlexikon ein Reflex aus Zeiten, als wir noch mit Fell ­herumliefen. Ein Reflex! Kein Dauerzustand. Drum ist auch die Werbung un­sinnig, ein Fußballvideo produziere "drei Mal Gänse­haut". Nach ein Mal Gänsehaut ist meistens Schluss. Sonst, rät das Apothekerjournal, ist man vielleicht zu leicht angezogen und sollte dicke Socken besorgen.

Glück, Gänsehaut, Aufregung – das sind Geschenke für kurze Zeit

Das hat sich jetzt so eingebürgert bei Sport, Event und Marketing: "Schreib halt was mit Gänsehaut", sagt vermutlich der Agenturfuzzi zu seiner Praktikantin, schenkt ihr ein paar Ausrufezeichen, und der Lokalredakteur übernimmt es dankbar in die Überschrift."Gänsehautgefühl!" schreibt er oder sie über die Einschulungsfeier in Warstein, die Sperrung der A40 in Essen oder die Vergabe eines Qualitätssiegels für ein Milchwerk. Echt jetzt, ein Milchwerk. Ich habe großen Respekt vor dem "QV-Siegel zur Senkung der qualitätsbedingten Ausfallkosten". Aber dass man bei der QV-Verleihung Gänsehaut bekommt, liegt vielleicht doch daran, dass in der Molkereihalle nur acht Grad herrschen.

Viele Tierschützer sorgen sich dankenswerterweise um die Gans. Ich ergänze: Schont die Gänsehaut. Verwendet sie sparsam. Glück, Gänsehaut, Aufregung – das sind Geschenke für kurze Zeit. Es gibt sie nicht im Dauer­betrieb und nicht auf Bestellung. Damit Sie das nicht tun müssen, habe ich gegoogelt, wie oft das Wort in chrismon-­Artikeln vorkommt. Zum Glück muss ich uns keinen Leserbrief schreiben, wenige Treffer. Der letzte Gänsehautmoment wurde in einer Reportage aus einer Geburtsklinik in Ostjeru­salem vermeldet. Zu Recht, lesen Sie selbst.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.