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2. Mose 19,1-6
Die alten Glaubenserfahrungen des Judentums tragen und ernähren uns. So auch diese Geschichte: Gott hat Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Wie „auf Adlerflügeln“ hat er das Volk ehemaliger Sklaven zu sich in die Wüste geführt. Zwar sind der Jubel darüber, dem Sklavendienst und der Todesgefahr entronnen zu sein, schnell vergangen angesichts vieler ungeklärten Zukunftsfragen. Trotzdem hat das Judentum diese Urerfahrung nie vergessen. Christen aus aller Welt dürfen sich mit in diesen Glauben Israels hineinbegeben. Weil wir in Christus getauft sind, deshalb sind wir auch in die Freiheit Israels mit aufgenommen. Auch wir wissen nun aus gewissermaßen geliehener Erfahrung: Gott duldet weder Unterdrückung noch Ausbeutung.
Niemand muss zwischen Gott und uns vermitteln. Wir stehen frei vor Gott!
Gott ist ein Gott der Befreiung! Auch wenn überall noch Pharaonen mit Knechtschaft drohen: Wir sind Gottes Eigentum. Allen anderen Besitzansprüchen auf unsere Person sollen und können wir uns verwehren. Diese besondere Freiheit war im alten Orient den Priestern vorbehalten. Aber Gott spricht das Privileg nun ganz Israel zu. Und wie die Juden sollen auch wir Christen ein Volk von Priestern sein. Dabei bedeutet nicht, dass wir das Zölibat einhalten oder eine besondere priesterliche Kleidung tragen sollen. Sondern als Priester sind wir Mittler zwischen Gott und Mensch. Und wenn wir alle Priester sind, dann leben wir in direkter Unmittelbarkeit vor Gott. Zwar brauchen wir die Gemeinschaft, um uns gegenseitig in Glaube und Vertrauen zu stärken. Auch benötigen wir Lehrerinnen und Lehrer, Predigerinnen und Prediger, um unseren Weg zu finden. Aber niemand muss zwischen Gott und uns vermitteln. Wir stehen frei vor Gott!
Wie lebt man als Priesterin oder Priester, wie vermittelt man die Gegenwart Gottes in diese Welt? Jesus riet denen, die vollkommen sein wollen, arm, keusch und gehorsam zu leben. „Wir sind Bettler, das ist wahr!“, soll Martin Luther auf seinem Sterbebett gesagt haben. Er war sich bewusst: Alles was wir sind und haben, auch der Glaube, ist uns geschenkt. Insofern sind wir arm und zugleich unendlich reich. Wer sich der eigenen Armut bewusst ist, kann unmöglich auf die Armut des Mitmenschen herabschauen. Er oder sie ist bedürftig und beschenkt.
Die Freiheit verlangt keine Uniformität und keinen Gleichschritt
Keuschheit lässt uns achtungsvollen Abstand wahren: Der Mitmensch ist kein Objekt unserer Fürsorge oder unserer Bedürfnisse, sondern ein würdevolles Subjekt. Der Mitmensch ist frei und souverän wie wir. Und mit Gehorsam unterwerfen wir uns nicht den Menschen, sondern ausschließlich Gott - mit unserem Gewissen. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“, heißt es beim Propheten Micha 6,8. Wenn wir hören und wissen was gut ist, werden wir das auch tun. In dieser Freiheit versehen Juden und Christen ihren priesterlichen Dienst als Mittler und Botschafter zwischen Gott und Welt.
Für Martin Luther war das Priestertum aller Getauften zentral. Dazu gehört auch, dass sich Christen in aller Welt für Gottes Schöpfung und seine Geschöpfe engagieren. Sie beten für Menschen in Not und kämpfen für eine gerechtere und lebensfreundliche Ordnung. Sie heilen, stärken und segnen, jede und jeder an seinem Platz und auf seine Weise. Die Freiheit verlangt keine Uniformität und keinen Gleichschritt. Aber weil auch Christen manchmal mehr Angst haben als Vertrauen, und weil sie schneller nach mehr Sicherheit verlangen, als dass sie zu lieben bereit sind, deswegen erinnern und ermutigen uns die großen Befreiungsgeschichten der Bibel. Die von Gott geschenkte Freiheit will geglaubt und gelebt werden.
Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägyptenland, an diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai. Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai, und Israel lagerte sich dort in der Wüste gegenüber dem Berge. Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der HERR rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst.
2. Mose 19,1-6